Entscheidungsstichwort (Thema)

Ghetto-Beitragszeit bei offenem Ghetto

 

Orientierungssatz

Eine Ghetto-Beitragszeit nach §§ 1 Abs. 1 und 2 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) kann auch bei einem freiwilligen entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis in einem offenen Ghetto vorliegen. Für den Begriff des Ghettos genügt es, dass die Beschäftigung in einem Zeitraum ausgeübt wurde, in dem bereits eine aufgezwungene und kontrollierte Separierung der jüdischen Bevölkerung in bestimmten Wohnbezirken umgesetzt war (hier: Ghetto Krenau Juni bis Dezember 1941).

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11.01.2005 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren. Hinsichtlich des ersten Rechtszugs bleibt es bei der Kostenentscheidung des Sozialgerichts. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beklagte hat der Klägerin auf den am 12.10.1998 gestellten Antrag mit Bescheid vom 15.11.2001 Regelaltersrente ab 01.10.1998 unter Berücksichtigung von Pflichtbeiträgen für Kindererziehung (01.08.1949 bis 31.01.1950) und Ersatzzeiten (06.06.1941 bis 14.04.1947) bewilligt. Sie wendet sich mit der Berufung gegen ihre Verurteilung zur Berücksichtigung einer in Krenau zurückgelegten Ghetto-Beitragszeit vom 01.06.1941 bis 31.12.1941 und Gewährung einer entsprechend höheren Altersrente - schon ab 01.07.1997 - nach Maßgabe des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).

Die Klägerin wurde am 00.00.1927 in Krenau/Polen geboren und ist jüdischen Glaubens und Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG). Sie lebte nach der Befreiung zunächst in Deutschland und wanderte 1950 in die USA aus. 1977 nahm sie ihren ständigen Aufenthalt in Israel; sie besitzt die israelische Staatsbürgerschaft.

Ausweislich der vom Bayerischen Landesentschädigungsamt geführten Entschädigungsakten erhielt die Klägerin eine Entschädigung wegen Schadens an Freiheit wegen ihres Aufenthaltes im KZ Rosen/Neusalz von August 1942 bis Januar 1945. Im Rahmen ihres Antrags vom 28.12.1954 hatte die Klägerin einen Aufenthalt in Krenau sowie die Verrichtung von Zwangsarbeit von Oktober 1939 bis August 1942 behauptet. In Erklärungen vom 16. und 17.02.1955 bestätigten die damaligen Zeuginnen T und X sowie der Zeuge N H einen Aufenthalt in Krenau bis Februar 1942 sowie einen anschließenden Transport nach Neusalz. Die damaligen Zeuginnen G und S H erklärten am 23. bzw. 25.01.1956, die Klägerin habe im Ghetto Krenau bis Mai 1942 Zwangsarbeit für die deutschen Truppen unter Aufsicht von 07:00 Uhr bis 19:00 Uhr täglich ausgeführt. In einer Erklärung vom 16.10.1961 hatte die Klägerin erklärt, sie habe von 1939 bis 1941 Zwangsarbeit verrichtet und sei 1941 nach Neusalz verbracht worden. In einem Gutachten des Arztes T (New York) vom 01.05.1963 wurde ausgeführt, die Klägerin habe Anfang 1941 bis August 1942 Zwangsarbeit als Näherin von Uniformen verrichtet. Im Rahmen eines Erhöhungsantrages legte die Klägerin eine mehrseitige Erklärung vom 12.10.1994 vor und führte hierin aus, sie habe ab ihrem 14. Lebensjahr in Krenau täglich viele Stunden Zwangsarbeiten in einer naheliegenden Fabrik verrichtet. In einem Gutachten des Psychiaters T1 (Tel Aviv) von Februar 1995 (in englischer Sprache) werden ein Aufenthalt im Ghetto sowie Zwangsarbeit bis Anfang 1942 erwähnt.

Am 12.10.1998 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente. Sie gab in dem am 07.01.1999 übersandten Fragebogen an, sie habe von Mitte 1940 bis Ende 1942 im Ghetto Krenau im S-Shop (Schneider-Shop) gearbeitet und dort Knöpfe angenäht.

Nach einer Sachstandsanfrage der Bevollmächtigten der Klägerin vom 08.11.1999 bat die Beklagte am 23.11.1999 um Übersendung von Zeugenerklärungen "für die im Ghetto Krenau behauptete Beschäftigungszeit". Darauf hin legte die Klägerin die folgende Erklärung der Zeugin F G1 vom 04.02.2000 vor, deren Unterschrift mit einem Beglaubigungsvermerk der deutschen Botschaft in Tel Aviv versehen ist:

"Ich kenne Frau G aus unserer Heimatstadt, Krenau, wo wir in der Nachbarschaft wohnten und dieselbe Schule besuchten. Wir waren befreundet, denn auch unsere Eltern waren befreundet. Als das Ghetto Mitte 1940 errichtet wurde, mussten wir unsere Haus verlassen und wohnten im Ghetto in der Nähe der Familie I. Wir arbeiteten gleichzeitig im Shop "S", wo wir Knöpfe an die fertig genähten Wehrmachtsuniformen annähten oder an der Nähmaschine die zugeschnittenen Teile zusammennähten. Wir sahen uns täglich und gingen auch zusammen zur und von der Arbeit nach Hause. Unsere Beschäftigung dauerte 8 - 10 Stunden täglich und bekamen als Entgelt Ghettogeld oder Coupons, wofür wir Lebensmittel kaufen konnten. Am 18. März 1942 wurde ich ins ZAL Klettendorf überführt und so trennten sich unsere Wege."

Die Beklagte zog zu Vergleichszwecken sowohl die Entschädigungsakte als auch die Rentenakte der Zeugin G1 bei...

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