Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Aufforderung zur Rentenantragstellung. Verpflichtung zur Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen. Vollendung des 58. Lebensjahres nach dem 1.1.2008. Vollendung des 63. Lebensjahres. Vermeidung von Unbilligkeiten. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Eine generelle Unbilligkeit der Aufforderung des Grundsicherungsträgers zur Rentenantragstellung gem § 12a SGB 2, die allenfalls über § 1 UnbilligkeitsV zu erfassen wäre, liegt nicht vor, wenn das Renteneinkommen des Leistungsberechtigten entsprechend dem Versicherungsverlauf des Rentenversicherungsträgers einen Betrag ergeben wird, mit dem er keine ergänzenden Leistungen nach dem SGB 12 wird beziehen müssen.
2. Eine Verletzung verfassungsrechtlich geschützter Rechte liegt weder in der Aufforderung zur Rentenantragstellung noch in der zugrunde liegenden gesetzlichen Systematik.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 22.08.2014 wird zurückgewiesen.
Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten, durch welchen er aufgefordert wurde, im Rahmen der Grundsicherung nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - einen Antrag auf die Bewilligung einer Rente zu stellen.
Der am 00.00.1950 geborene Kläger bezieht seit August 2008 zusammen mit seiner mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Ehefrau Leistungen nach dem SGB II. Sein monatlicher Bedarf beträgt 563 EUR.
Nach einer Rentenauskunft vom 31.06.2013 hätte der Kläger bei einem Rentenantrag am 01.04.2013 gegenüber einer abschlagsfreien Altersrente von 964,17 EUR Abschläge von 7,2 % hinzunehmen.
Mit Bescheid vom 16.04.2013 forderte der Beklagte den Kläger zur Stellung eines Rentenantrags bis zum 06.05.2013 auf, weil er eine geminderte Altersrente mit Abschlägen realisieren könne. Diese vorrangige Leistung schließe einen Anspruch nach dem SGB II aus. Der Kläger sei zur Beantragung der geminderten Altersrente ab dem 63. Lebensjahr verpflichtet. Sein Interesse an der Weitergewährung der Leistungen nach dem SGB II müsse im Rahmen der pflichtgemäßen Ausübung des Ermessens gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Beantragung einer Rente wegen Alters zurücktreten. Da die finanziellen Mittel für Grundsicherungsleistungen aus allgemeinen Steuermitteln und nicht, wie bei der Rentenversicherung, aus Beiträgen der Versicherten aufgewendet würden, bestehe ein Interesse an der Vermeidung nicht gerechtfertigter Sozialleistungen. Ermessensgesichtspunkte, die zu Gunsten des Klägers hätten berücksichtigt werden können, seien nicht erkennbar.
Am 14.05.2013 stellte der Beklagte formlos für den Kläger einen Rentenantrag bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV). Das Verwaltungsverfahren ist ruhend gestellt.
Gegen den Bescheid vom 16.04.2013 erhob der Kläger Widerspruch. Er halte die rechtliche Grundlage zur Aufforderung einer Rentenantragstellung für verfassungswidrig. Er sehe Verstöße v.a. gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz. Die zu berücksichtigende Vergleichsgruppe seien die Arbeitnehmer, die bis zum 67. Lebensjahr arbeiten müssten. Die andere Gruppe, zu der er gehöre, werde gezwungen, eine abschlagsgeminderte Rente ab dem 63. Lebensjahr in Anspruch zu nehmen. Er sehe keinen sachlichen Grund, der diese Ungleichbehandlung rechtfertige. Damit werde auch in die Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG eingegriffen, denn die Rentenanwartschaften unterfielen der Eigentumsgarantie. Außerdem sei Art. 12 GG verletzt, denn es stehe ihm frei, seinen Beruf frei zu wählen und auszuüben. Wenn er nun gezwungen werde, einen Rentenantrag zu stellen, dann könne er über seine Arbeitskraft nicht mehr frei entscheiden.
Der Antrag des Klägers, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bzw. der Klage anzuordnen, blieb erfolglos (S 28 AS 858/13 ER = L 19 AS 1045/13 B ER).
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.07.2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Es sei noch zu prüfen gewesen, ob eine unbillige Härte angenommen werden könne. Hierzu sei die Verordnung zur Vermeidung unbilliger Härten durch Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente (Unbilligkeitsverordnung) heranzuziehen. Die in der Unbilligkeitsverordnung in den §§ 2-5 festgelegten Voraussetzungen, in welchen Fällen die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente unbillig sei, erfülle der Kläger nicht. Durch die Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente sei der Kläger bei seinem derzeitigen Bedarf nach dem SGB II von monatlich 563 EUR in der Lage, dauerhaft unabhängig von der Inanspruchnahme steuerfinanzierter Grundsicherungsleistung zu leben. Dem Kläger sei eine ausreichende Frist gesetzt worden, Gesichtspunkte, die im Rahmen des Ermessens einer Aufforderung entgegenstünden, vorzutragen. Solche Gesichtspunkte seien nicht ersichtlich. Der Beklagte habe...