Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. GdB-Feststellung -Transsexualität. Geschlechtsumwandlung. psychisches Leiden. fehlender Harnstrahl. Wirbelsäulenschaden. Schäden der unteren Gliedmaßen. sozialgerichtliches Verfahren. keine wiederholte Anhörung eines Gutachters
Orientierungssatz
1. Soweit die gestörte Geschlechtsidentität bzw der Transsexualismus als Erkrankung bzw Behinderung aufgefasst werden, führt dies zu keiner höheren Bewertung. Denn es sind gerade die psychischen Folgen der gestörten Geschlechtsidentität bzw des Transsexualismus, die erst zu dem mit einem Einzel-GdB von 30 bewerteten psychischen Leiden führen.
2. Die Störung der Miktion im Sinne eines fehlenden Harnstrahls bedingt einen Einzel-GdB von nicht mehr als 10.
3. Zu weiteren in den Versorgungsmedizinischen Grundätzen (Anlage zu § 2 VersMedV) genannten Funktionsbeeinträchtigungen, ua Teil B Nr 18.9 (Wirbelsäulenschäden) und Teil B Nr 18.14 (Schäden der unteren Gliedmaßen).
4. Die wiederholte Anhörung desselben Gutachters bzw die Einholung einer ergänzenden Stellungnahme ist nicht schon deswegen geboten, weil zwischenzeitlich ein Gutachten von Amts wegen eingeholt worden ist.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 31.07.2014 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50.
Die am 00.00.1967 geborene transsexuelle Klägerin ist gelernte Schlossermeisterin. Nach hormoneller Therapie ab 2006 wurde 2009 und 2010 operativ eine Geschlechtsangleichung Mann zu Frau durchgeführt.
Am 20.04.2010 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Erstantrag auf Feststellung eines GdB. Die Beklagte zog Befundberichte des Orthopäden Dr. C, des Allgemeinmediziners Dr. I, der Psychiaterin und Psychotherapeutin T und der Neurologen Dr. L et al. sowie Entlassberichte des B Krankenhauses in L und der T Klinik X bei. In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme bewertete Dr. T2 ein psychisches Leiden mit einem Einzel-GdB von 20 und ein Wirbelsäulenleiden mit einem Einzel-GdB von 10, den GdB insgesamt mit 20. Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 13.09.2010 einen GdB von 20 fest. Die Klägerin legte am 04.10.2010 Widerspruch ein. Sämtliche Leiden seien höher zu bewerten. Die Wirbelsäule sei in drei Abschnitten betroffen. Es bestünde ein erhebliches Knieleiden sowie eine teilweise Zwerchfelllähmung. In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme bewertete Dr. B das Wirbelsäulenleiden nun mit einem Einzel-GdB von 20 und zusätzlich ein Knieleiden mit einem Einzel-GdB von 10, den GdB insgesamt mit 30. Die Beklagte stellte mit Abhilfebescheid vom 22.12.2010 unter Aufhebung des Bescheides vom 13.09.2010 einen GdB von 30 fest. Die Bezirksregierung Münster wies den Widerspruch im Übrigen mit Widerspruchsbescheid vom 03.02.2011 zurück.
Die Klägerin hat am 02.03.2011 Klage beim Sozialgericht Düsseldorf erhoben.
Das Sozialgericht hat von Amts wegen Befundberichte des Orthopäden Dr. C, des Allgemeinmediziners Dr. I, der Psychiaterin und Psychotherapeutin T, der Neurologen Dr. L et al. sowie des HNO-Arztes Dr. T1 und Sachverständigengutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. S, des Orthopäden Dr. L sowie des Internisten und Allgemeinmediziners Dr. P eingeholt. Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Sozialgericht außerdem Sachverständigengutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. L1, des Orthopäden Prof. Dr. T3 sowie des Internisten Dr. C1 eingeholt.
Dr. S hat auf Grundlage seiner Begutachtung im Januar 2012 eine rezidivierende depressive Störung, aktuell leichtgradig beschrieben und mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet. Dr. L1 hat auf Grundlage seiner Begutachtung im Januar 2013 eine aktuell mittelgradige Depressivität beschrieben und mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet. Dr. S hat in einer ergänzenden Stellungnahme ausgeführt, bei mittelgradiger Depressivität sei eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit anzunehmen, weswegen der Einzel-GdB ab Januar 2013 mit 30 angesetzt werden könne. Dr. L hat ausgeführt, das Wirbelsäulenleiden sei bei weitgehend freier Beweglichkeit allenfalls mit mittelgradigen Funktionseinschränkungen in einem Abschnitt vergleichbar. Der Einzel-GdB betrage schwach 20. Das Leiden der Hüfte und der Knie sei bei ebenfalls weitgehend uneingeschränkter Beweglichkeit zusammenfassend mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Prof. Dr. T3 hat das Hüftleiden wegen deutlicher arthrotischer Veränderungen mit einem Einzel-GdB von 20, das Knieleiden wegen erheblichem Knorpelverlust und anhaltenden Reizerscheinungen ebenfalls mit einem Einzel-GdB von 20 und die Leiden der unteren Extremitäten insgesamt mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet. Dr. L hat in einer ergänzenden Stellungnahme ausgeführt, die klinischen Beeinträchtigungen rechtfertigten nicht die...