Entscheidungsstichwort (Thema)

Rente wegen Berufsunfähigkeit. Hauer. Verweisung. Zigarettenautomatenauffüller. Auslieferungsfahrers. Zumutbarkeit. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Zur Verweisbarkeit eines Hauers im Bergbau auf Tätigkeiten eines Auslieferungsfahrers im Arzneimittelgroßhandels und eines Zigarettenautomatenauffüllers.

2. Zum Berufsbild des Zigarettenautomatenauffüllers und der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Verweisung auf diese Tätigkeit in Bezug auf Art 2 und 4 GG.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 09.10.2007; Aktenzeichen B 5b/8 KN 3/07 R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 9.8.2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist der Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU).

Der 1962 geborene türkische Kläger kam 1974 nach Deutschland, besuchte 2 Jahre eine Schule und wurde am 1.9.1977 als Jungbergmann im deutschen Steinkohlenbergbau angelegt. Bis zum 28.2.1991 arbeitete er unter Tage, zuletzt als Hauer in der Gewinnung (entlohnt nach der Lohngruppe 11 Unter Tage der Lohnordnung für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau = Anlage 4 des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmer des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaus - LO). Nach längerer Arbeitsunfähigkeit wechselte er zum 30.6.1992 in die Tätigkeit eines Bandwärters (Lohngruppe 4 Unter Tage LO). Die Beklagte gewährte ab Dezember 1991 Rente für Bergleute auf Dauer. Zum 31.3.1996 kehrte der Kläger ab und ist seither arbeitslos. Er ist im Besitz einer gültigen Erlaubnis, die ihn zum Führen eines PKWs berechtigt.

Im Dezember 1999 beantragte der Kläger Rente wegen BU "wegen Wirbelsäule, Schulter, Ellenbogen und Speiseröhre". Dr. H vom Sozialmedizinischen Dienst der Beklagten (SMD) Gelsenkirchen hielt den Kläger vor allem wegen einer Minderbelastbarkeit des Stütz- und Bewegungsapparates für nicht mehr in der Lage, körperlich schwere Tätigkeiten auszuüben oder solche, die die Wirbelsäule belasten oder die überwiegend in Zwangshaltung verrichtet werden müssen. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt komme ua noch die Tätigkeit als Auslieferungsfahrer im Arzneimittelgroßhandel in Betracht (Gutachten vom 31.5.2000).

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag ab, weil der Kläger die Tätigkeit eines Auslieferungsfahrer im Arzneimittelgroßhandel noch vollschichtig und vollwertig versehen könne (Bescheid vom 5.7.2000, Widerspruchsbescheid vom 13.2.2001).

Mit seiner noch im Februar 2001 erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, es seien keine zumutbaren Verweisungstätigkeiten mehr zu erkennen. Die Tätigkeit eines Auslieferungsfahrers im Arzneimittelgroßhandel komme nicht mehr in Betracht, weil es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine ausreichende Zahl entsprechender Arbeitsplätze mehr gebe.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 5.7.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.2.2001 zu verurteilen, bei ihm für die Zeit ab dem 13.12.1999 einen Zustand der Berufsunfähigkeit anzunehmen und entsprechende Leistungen nach weiterer Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat ihre Entscheidung weiter für zutreffend gehalten.

Die vom Sozialgericht (SG) eingeschaltete Sachverständige, Chirurgin Dr. E aus C, hat beim Kläger die Gesundheitsstörungen "Wirbelsäulensyndrom, Verschleißleiden der großen und kleinen Gelenke der Extremitäten und Magenleiden" diagnostiziert. Wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten mit häufigen Zwangshaltungen, ständiger Rumpfbeugevorhaltung sowie Überkopfarbeiten und schultergelenksbelastende Tätigkeiten mit ständigen Überkopfarbeiten und Arbeiten in Armvorhalteposition seien nicht mehr zumutbar. Extrem belastende Tätigkeiten mit ständig knienden und hockenden Zwangshaltungen oder kriechendem Bewegungsablauf sollten nicht mehr abverlangt werden. Es bestehe jedoch vollschichtige Leistungsfähigkeit für eine leichte bis mittelschwere Tätigkeit in einem Verhältnis von 50: 50. Eine wesentliche Einschränkung des geistigen Leistungsvermögens habe sie nicht gefunden. Die Tätigkeit eines Auslieferungsfahrers im Arzneimittelgroßhandel sei zumutbar (Gutachten vom 4.10.2001 und 22.10.2001). Der auf Antrag des Klägers als Gutachter eingeschaltete Orthopäde Dr. T, St. N-Hospital C1, hat diese Leistungsbeurteilung im Wesentlichen bestätigt (Gutachten vom 08.03.2002).

Das SG hat die Klage abgewiesen, weil der Kläger auf die ihm zumutbare Tätigkeit des Auslieferungsfahrers im Arzneimittelgroßhandel verwiesen werden könne (Urteil vom 9.8.2002).

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die von der Beklagten benannten Verweisungstätigkeiten seien ihm nicht zumutbar. Die vom SG angenommene Tätigkeit des Auslieferungsfahrers im Arzneimittelgroßhandel komme schon deshalb nicht mehr in Betracht, weil es zwischenzeitlich an der erforderlichen Zahl von Arbeitsplätzen auf dem ...

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