Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer während der ersten drei Monate des Aufenthalts. Arbeitnehmerstatus. Sozialhilfe für Ausländer. Überbrückungsleistungen. Streitgegenstand. aliud. Ausreisebereitschaft. Verfassungsmäßigkeit der Leistungsausschlüsse
Orientierungssatz
1. Zu den Anforderungen an das Vorliegen der Arbeitnehmereigenschaft iS des § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU 2004.
2. Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs 3 S 3 bis 6 SGB 12 stellen als „aliud“ regelmäßig einen eigenständigen, nicht einbezogenen Streitgegenstand im Verhältnis zu einem Anspruch auf laufende Grundsicherungsleistungen zum Lebensunterhalt dar.
3. In tatbestandlicher Hinsicht setzt § 23 Abs 3 S 3 bis 6 SGB 12 mindestens eine Ausreisebereitschaft voraus.
4. Der Senat vermag sich nicht davon zu überzeugen, dass der festzustellende vollständige Leistungsausschluss von laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gegen das GG, namentlich das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG oder den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art 3 Abs 1 GG verstößt.
Tenor
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 18.05.2020 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) im Anschluss an ihre Einreise nach Deutschland streitig.
Die am 00.00.1985 geborene Klägerin zu 1) ist die Mutter der minderjährigen Kläger zu 2) bis 4) (geboren am 00.00.2018, 00.00.2015 bzw.00.00.2010). Zum Vater der Kläger zu 2) bis 4) besteht nach Angaben der Klägerin zu 1) kein Kontakt. Die Kläger sind spanische Staatsangehörige.
Sie reisten am 14.01.2019 in das Bundesgebiet ein. Noch am selben Tag wies die Stadt Kerpen sie per Ordnungsverfügung zur Vermeidung von Obdachlosigkeit in ein Zimmer einer Obdachlosenunterkunft in ihrem Stadtgebiet ein. Für diese Wohnung wurden die Kläger polizeilich gemeldet. Ein Benutzungsgebührenbescheid (mtl. insgesamt 278,00 EUR) wurde erst für die Zeit ab Juli 2019 erlassen.
Am 16.01.2019 beantragten die - seinerzeit bereits anwaltlich vertretenen - Kläger beim beklagten Jobcenter die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache beim Beklagten erklärte die Klägerin zu 1), sie sei mit ihren Kindern nach Deutschland eingereist, um hier zu leben; einen anderen Grund gebe es nicht.
Der Beklagte lehnte die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II daraufhin ab (Bescheid vom 26.02.2019; Widerspruchsbescheid vom 11.03.2019). Die Klägerin zu 1) sei mit ihren Kindern in die Bundesrepublik eingereist, um hier zu leben. Sie gehe derzeit keiner Beschäftigung nach. Damit seien die Kläger von Leistungen des SGB II für die ersten drei Monate ihres Aufenthaltes ausgeschlossen. Im Übrigen enthielt die Begründung des Ablehnungsbescheides folgenden Hinweis:
"Ob ein Leistungsanspruch für die Antragstellerin und die in ihrer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nach den ersten drei Monaten ihres voraussetzungslosen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland besteht, ist erst nach Ablauf der ersten drei Monate zu prüfen.
Wir weisen vorsorglich daraufhin, dass Frau G B dann erneut zur Antragstellung vorsprechen muss."
Die Familienkasse bewilligte der Klägerin zu 1) Kindergeld ab Februar 2019 (in Höhe von jeweils 194 EUR für die Kläger zu 3) und 4) sowie 200 EUR für den Kläger zu 2); Bescheid vom 26.02.2019). Elterngeld in Höhe von 300,00 EUR mtl. erhielt die Klägerin zu 1) für die Zeit vom 31.01.2019 bis 30.04.2020.
Zum 30.03.2019 nahm die Klägerin zu 1) eine Beschäftigung als Reinigungskraft bei der Fa. J Instandhaltungs-GmbH auf; einen schriftlichen Arbeitsvertrag schloss sie mit der Arbeitgeberin nicht ab. Laut der persönlichen Vorsprache der Klägerin zu 1) am 04.06.2019 bei dem Beklagten, war eine monatliche Arbeitszeit von 8 Stunden vereinbart. Demgegenüber gab die Arbeitgeberin an, dass die Klägerin zu 1) jeweils die ersten beiden Samstage eines Monats 7,5 Stunden täglich arbeiten sollte; der Stundenlohn betrug 10,56 EUR. Die Klägerin zu 1) arbeitete daraufhin am 30.03.2019, 06.04.2019 (an diesem Tag für 7,75 Stunden) sowie am 13.04.2019. Zu weiteren Arbeitseinsätzen kam es nicht. Die Klägerin zu 1) erschien ab Mai nicht mehr zur Arbeit. Unter dem 24.07.2019 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum 09.08.2019. Der Lohn für März 2019 i.H.v. 77,62 EUR floss der Klägerin am 12.04.2019 zu, der für April 2019 i.H.v. 157,82 EUR am 14.05.2019.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 10.05.2019 ließen die Kläger im Hinblick auf die Arbeitsaufnahme mit einer monatlichen Arbeitsleistung von 8 Stunden ab dem 30.03.2019 darauf hinweisen, dass ihnen SGB II-Leistungen zu gewähren seien. Der Beklagte fasste dies als Antrag auf, den er nicht beschied.
Na...