Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. einstweilige Unterbringung nach § 126a StPO. kein Anspruch auf einen angemessenen Barbetrag nach § 35 Abs 2 S 2 SGB 12 aF bzw § 27b Abs 2 S 2 SGB 12 nF. abweichende Festlegung des Regelbedarfs. Schätzung. 15 % des Eckregelsatzes bzw der Regelbedarfsstufe 1. Nachrang der Sozialhilfe. kein Leistungsausschluss wegen darlehensweiser Gewährung eines Taschengeldes durch die Vollzugsbehörde
Leitsatz (amtlich)
1. Einem nach § 126a StPO einstweilen in einer forensischen Psychiatrie Untergebrachten steht ein Barbetrag nach § 35 Abs 2 S 2 SGB 12 aF bzw § 27b Abs 2 S 2 SGB 12 nF nicht zu. Denn die forensische Psychiatrie ist keine Einrichtung iS des § 13 Abs 2 SGB 12.
2. Dem einstweilen Untergebrachten steht jedoch für persönliche Bedarfe ein "Taschengeld" aus Sozialhilfemitteln zu, welches nach § 28 Abs 1 S 2 SGB 12 aF bzw § 27a Abs 4 S 1 SGB 12 nF individuell zu bemessen ist. Bei der Bemessung ist eine Orientierung an der den Sozialhilferegelsätzen bzw Sozialhilfe-Regelbedarfsstufen zugrunde liegenden Einkommens- und Verbrauchsstichprobe nicht möglich. Vielmehr ist der entsprechende Bedarf nach § 202 SGG iVm § 287 ZPO zu schätzen; insoweit erscheinen 15 % des Sozialhilferegelsatzes eines Haushaltsvorstandes (bis 31.12.2010) bzw der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB 12 (ab Januar 2011) ausreichend und angemessen.
3. Das in Nordrhein-Westfalen darlehensweise gewährte arbeitstägliche Taschengeld von 0,43 € nach § 35 MRVG NRW (juris: MRVG NW) iVm § 11 Abs 5 UVollzG NRW (juris: UVollzG NW) löst insoweit keinen Nachrang der Sozialhilfe aus.
Nachgehend
BSG (Vergleich vom 28.02.2013; Aktenzeichen B 8 SO 16/12 R) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 27.09.2011 geändert. Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 20.08.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.11.2010 verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum 01.09.2010 bis zum 13.02.2011 Leistungen in Höhe von 15 Prozent des Sozialhilferegelsatzes eines Haushaltsvorstandes (September bis Dezember 2010) bzw. der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII (ab Januar 2011) zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt 60 Prozent der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Rechtszüge.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger während einer einstweiligen Unterbringung nach § 126a Strafprozessordnung (StPO) vom 09.08.2010 bis zum 13.02.2011 Anspruch auf Sozialhilfeleistungen, insbesondere auf einen Barbetrag gemäß § 35 Abs. 2 S. 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung (a.F.) bzw. gemäß § 27b Abs. 2 S. 2 SGB XII in der seit dem 01.01.2011 geltenden Fassung (n.F.) hat.
Der 1963 geborene Kläger leidet an einer erstmals 1990 festgestellten schweren chronifizierten und therapieresistenten Schizophrenie. Seitdem war er mit kürzeren Unterbrechungen in stationärer Behandlung im Evangelischen Krankenhauses C. 1987 wurde bei ihm zudem eine Polytoxikomanie festgestellt. Es besteht ferner eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus. Für den Kläger ist durch das Amtsgericht C (XXX) eine Betreuung u.a. für die Vertretung gegenüber Behörden und Leistungsträgern sowie für die Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten bestellt (letztere mit Einwilligungsvorbehalt).
Der mittellose Kläger befand sich auch bis zum 09.08.2010 in stationärer Behandlung. Hierfür erhielt er vom Beigeladenen am 30.07.2010 und 31.08.2010 jeweils für den Folgemonat einen Barbetrag zur persönlichen Verfügung in Höhe von 96,93 EUR. Seit dem 09.08.2010 war er aufgrund eines Unterbringungsbefehls des Amtsgerichts C vom 23.07.2010 (XXX - XXX) gemäß § 126a StPO im Zentrum für forensische Psychiatrie M, dessen Träger der Beigeladene ist, untergebracht. Einer Rückforderung des noch vor Beendigung des stationären Krankenhausaufenthalts für September 2010 gezahlten Barbetrages durch den Beigeladenen kam der Kläger ausweislich seiner Kontoauszüge (Kontostand am 01.07.2010: 124,99 EUR, am 05.11.2010: 73,92 EUR) mit Überweisung vom 13.09.2010 nach.
Der Kläger beantragte durch seinen Betreuer am 11.08.2010 bei der Beklagten die Gewährung eines Barbetrages gemäß § 35 Abs. 2 SGB XII a.F. Zur Begründung führte er aus, gemäß § 126a StPO hätten bedürftige Patienten Anspruch auf einen Barbetrag zur persönlichen Verwendung. Nach neuer Rechtslage bestehe der Anspruch nicht mehr gegen die unterbringende Behörde, sondern gegenüber dem Sozialhilfeträger. Er legte eine Informationsschrift des Zentrums für forensische Psychiatrie "zu der rechtlichen Neuordnung des Rechtsbereiches zu Untersuchungsgefangenen und einstweiligen Unterbringungen" vor. Darin ist u.a. ausgeführt, nach § 35 Abs. 2 des Maßregelvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen (MRVG NRW) gölten für den Vollzug der Unterbringungen gemäß § 126a Abs. 1 StPO sowie § 453c i.V.m. § 463 S...