Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen 1. Klasse. Ungleichbehandlung von Kriegsblinden und Zivilblinden. Sonderopfer der Kriegsbeschädigten als rechtfertigender Differenzierungsgrund. keine Ausweitung auf sonstige Schwerbehinderte. Verfassungsrecht. Diskriminierungsverbot. UN-Behindertenrechtskonvention

 

Orientierungssatz

1. Das Merkzeichen für die Benutzung der 1. Wagenklasse mit Fahrausweis der 2. Wagenklasse (Merkzeichen 1. Klasse) steht grundsätzlich nur Kriegsbeschädigten zu.

2. Die mit dem Merkzeichen 1. Klasse verbundene Fahrpreisermäßigung wird als Sonderleistung der sozialen Entschädigung für Kriegsopfer außerhalb des gesetzlichen Katalogs der Versorgungsleistungen gewährt, die als Kriegsopfer ein Sonderopfer erbringen mussten (vgl BSG vom 28.3.1984 - 9a RVs 9/83 = BSGE 56, 238 = SozR 3870 § 3 Nr 17).

3. Es ist weder verfassungsrechtlich noch völkerrechtlich aufgrund von Art 3 Abs 3 S 2 GG oder Art 5 Abs 2 der UN-Behindertenrechtskonvention (juris: UNBehRÜbk) geboten, die Regelungen, welche die Zuerkennung des Merkzeichens 1. Klasse regeln, über ihren eindeutigen Wortlaut hinaus auf nicht erfasste Personenkreise zu erstrecken.

4. Schwierigkeiten bei der Platzsuche oder Hindernisse im Gang in der 2. Wagenklasse werden durch Zuerkennung des Merkzeichens B (Begleitperson) ausreichend ausgeglichen.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 07.11.2018; Aktenzeichen B 9 SB 2/18 BH)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 03.03.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist das Vorliegen der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "1. Klasse" streitig.

Der am 00.00.1983 geborene Kläger leidet u.a. unter einer hochgradigen Sehbehinderung. Es besteht eine hochgradige Reduzierung der Sehschärfe (im Januar 2001 betrug der bestkorrigierte Visus 1/20 bds.) und eine erhebliche konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung (zum Teil funktional, zum Teil durch Opticusatrophie und Nystagmus bedingt). Mit Bescheid vom 27.08.1998 stellte die Beklagte bei dem Kläger ab dem 05.06.1998 aufgrund einer Sehbehinderung einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 und das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen "G", "B" und "RF" fest. Auf einen Änderungsantrag des Klägers vom 25.09.2000 hin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 15.11.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.02.2001 in Gestalt des Ausführungsbescheid vom 19.12.2001 ab 25.09.2000 aufgrund einer Sehbehinderung einen GdB von 100 und das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen "G", "B", "RF" und "H" und ab 01.09.2001 zusätzlich das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "Bl" fest.

Am 19.05.2015 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Feststellung der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "1. Klasse". Er machte u.a. geltend, es lägen ein Wertungswiderspruch und eine Ungleichbehandlung vor, weil das Merkzeichen nur Kriegsblinden, nicht aber Zivilblinden erteilt werde. Mit Bescheid vom 17.06.2015 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Sie führte zur Begründung im Wesentlichen aus, das Merkzeichen stehe Kriegsbeschädigten zu, wenn die anerkannten Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) mindestens einen Grad der Schädigung (GdS) von 70 bedingten und bei Bahnfahrten die Benutzung der 1. Wagenklasse erforderten; gleiches gelte für Entschädigungsberechtigte nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG). Zu diesen Personenkreisen gehöre der Kläger nicht. Hiergegen legte der Kläger am 29.06.2015 Widerspruch ein, den die Bezirksregierung Münster mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2015 zurückwies.

Mit seiner am 06.08.2015 vor dem Sozialgericht (SG) Köln erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt und dazu unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens vorgetragen, dass zwischen einem Kriegsblinden und einem Zivilblinden kein Unterschied bestehe. Die Ursache der Blindheit sei unerheblich. Die nähere Ausgestaltung des Begünstigtenkreises dürfe nicht den tariflichen Bestimmungen der "Eisenbahnen" überlassen werden. Es liege eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung und Benachteiligung wegen seiner Behinderung vor. Auch stehe die Regelung mit der UN-Behindertenrechtskonvention nicht in Einklang.

Mit Urteil vom 03.03.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, die Voraussetzungen, unter denen das Merkzeichen "1. Klasse" zu vergeben sei, lägen nicht vor. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 6 der Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) sei im Schwerbehindertenausweis auf der Rückseite das Merkzeichen "1. Klasse" einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch die im Verkehr mit Eisenbahnen tariflich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Benutzung der 1. Wagenklasse mit Fahrausweis der 2. Wagenklasse e...

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