Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage nach Erledigung der Hauptsache. Verpflichtung der Vertragsärzte zur Teilnahme am Notfalldienst. Gestaltungsfreiheit der Kassenärztlichen Vereinigung bei der Ausgestaltung des Notdienstes. Rechtmäßigkeit der Anordnung einer ständigen ärztlichen Anwesenheit in einer zentralen Notfallpraxis

 

Orientierungssatz

1. Eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens des § 131 Abs 1 S 3 SGG auch nach Erledigung der Hauptsache bei einer Feststellungsklage zulässig (vgl BSG vom 19.3.2002 - B 1 KR 34/00 R = SozR 3-2500 § 207 Nr 1). In dem Übergang zur Fortsetzungsfeststellungsklage liegt keine unzulässige Klageänderung.

2. Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) sind verpflichtet, die vertragsärztliche Versorgung sicherzustellen. Diese schließt die Verpflichtung der Vertragsärzte zur Teilnahme am Notfalldienst ein (vgl BSG vom 28.10.1992 - 6 RKa 2/92 = SozR 3-2500 § 75 Nr 2).

3. Bei der Ausgestaltung des Notfalldienstes kommt den KVen und den Ärztekammern eine weite Gestaltungsfreiheit zu. Der uneingeschränkten Überprüfung durch das Gericht obliegt es jedoch, ob eine im Notfalldienst angeordnete Maßnahme eine ausreichende Rechtsgrundlage hat.

4. Ergibt sich weder aus der von der Vertreterversammlung der KV beschlossenen Satzung noch aus einer Ermächtigung des Vorstands der KV durch die Vertreterversammlung eine Rechtsgrundlage dafür, dass der Arzt in der Notfallpraxis eines Krankenhauses ständig anwesend sein muss, so hat das Sozialgericht auf Antrag festzustellen, dass die entsprechend ergangene Anordnung rechtswidrig war.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 11.05.2011; Aktenzeichen B 6 KA 23/10 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20.06.2007 abgeändert. Es wird festgestellt, dass die Anordnung, in der Notfallpraxis am St. B Krankenhaus in T während des Notfalldienstes ständig anwesend sein zu müssen, unter Geltung der Notfalldienstordnung vom 01.01.2002 rechtswidrig war. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten und Gerichtskosten für beide Rechtszüge. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Anordnung ständiger, bis zu 14,5-stündiger Anwesenheit während des Notfalldienstes in einer zentralen Notfallpraxis.

Der Kläger ist als Arzt für Allgemeinmedizin seit 1985 in T niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er wird von der Beklagten regelmäßig zu Fahr- und Sitzdiensten in der zentralen Notfallpraxis am St. B Krankenhaus in T/Kreis F eingeteilt. Die einschlägigen Dienstpläne für den ärztlichen Notfalldienst im Kreis F sahen im Anschluss an den - von der Beklagten und der Beigeladenen aufgestellten - bis zum 31.03.2005 geltenden Organisationsplan Dienstzeiten von 7:30 Uhr bis 23:00 Uhr bzw. mittwochs von 13:00 Uhr bis 23:00 Uhr vor. Nach 23:00 Uhr könne der diensthabende Arzt nach Rücksprache mit der Arztnotrufzentrale (ARZ) die Notfallpraxis verlassen. Er müsse dann für die ARZ erreichbar sein und im Bedarfsfall unverzüglich in die Praxis zurückkehren.

Wegen zeitweiliger Abwesenheit des Klägers während seines Dienstes in der Notfallpraxis im Dezember 2002, Mai 2003 und April 2004 hat ihm der Disziplinarausschuss der Beklagten mit Beschluss vom 22.03.2005 einen Verweis erteilt. Er habe durch eine nicht ordnungsgemäße Ausübung des ärztlichen Notfalldienstes gegen seine vertragsärztlichen Pflichten verstoßen. Widerspruch und erstinstanzliche Klage blieben ohne Erfolg. Das Berufungsverfahren ist unter dem Aktenzeichen L 11 KA 81/08 beim Landessozialgericht anhängig.

Mit Bescheid vom 04.11.2004 teilte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 01.02.2005 bis 31.01.2006 zu Fahrdiensten sowie Sitzdiensten ein. Im Nachgang übersandte sie ihm unter dem 15.06.2005 den zum 01.04.2005 geänderten und mit Wirkung ab 01.07.2005 umgesetzten Organisationsplan, der unter anderem in § 2 für die Notfalldienstpraxen an Wochenenden Öffnungszeiten von 7:30 Uhr bis 22:00 Uhr vorsah und weiterhin bestimmte, dass der zum Dienst eingeteilte Arzt zu den Öffnungszeiten der Notfallpraxis ständig anwesend sein müsse. Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Widerspruchsstelle der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 21.11.2005 zurück.

Dagegen hat sich die am 22.12.2005 erhobene Klage gerichtet, zu deren Begründung der Kläger unter Bezugnahme auf ein von ihm in Auftrag gegebenes Gutachten der Rechtsanwälte E und C vom 23.05.2005 im Wesentlichen geltend gemacht hat, für die Forderung einer (ständigen) bis zu 14,5-stündigen Anwesenheitspflicht ergebe sich weder aus der Notfalldienstordnung (NFDO) noch aus dem Organisationsplan eine Rechtsgrundlage. Insoweit liege eine Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 und 12 des Grundgesetzes (GG) sowie ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot gemäß Art. 3 GG und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor. In anderen Notf...

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