Entscheidungsstichwort (Thema)
Brustverkleinerungsoperation als Kassenleistung
Orientierungssatz
1. Krankenversicherungsrechtlich ist Krankheit ein regelwidriger Körperzustand, der Behandlungsbedürftigkeit und/oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat; eine Regelwidrigkeit ist gegeben, wenn der Körperzustand vom Leitbild eines gesunden Menschen abweicht, wobei entscheidend ist, ob der Versicherte zur Ausübung der normalen psychophysischen Funktionen in der Lage ist.
2. Die Größe der Brüste allein ist keine Krankheit nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB 5.
3. Eine mittelbare Behandlung in der Weise, dass in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen wird, um Beschwerden in einem anderen Bereich zu lindern, bedarf einer besonderen Rechtfertigung, indem der voraussichtliche medizinische Nutzen gegen den möglichen gesundheitlichen Schaden abzuwägen ist.
4. Eine Brustverkleinerungsoperation/Mammareduktionsplastik kann als Kassenleistung zur mittelbaren Behandlung von Rückenbeschwerden nicht beansprucht werden, wenn die Behebung der Rückenbeschwerden durch das Auftrainieren der Rückenmuskulatur erfolgversprechend erscheint.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 11.05.2004 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung einer beidseitigen operativen Brustverkleinerung (Mammareduktionsplastik - MRP -).
Bei der am 00.00.1984 geborenen und bei der Beklagten krankenversicherten Klägerin liegt ein Zustand nach Alkoholembryopathie III. Grades (Schädigung des Fötus im Mutterleib durch Alkohol) mit Minderwuchs, geistiger Behinderung, eine Fehlbildung innerer Organe und Skelettanomalien, eine muskuläre Hypotonie und eine Bindegewebsschwäche vor. Sie beantragte am 10.06.2002 durch die Fachärztin für Kinderheilkunde Dr. C, C, die operative Verkleinerung beider Brüste. Zur Begründung gab Dr. C an, dass die Klägerin in der Pubertät eine extreme Mammahyperplasie entwickelt habe, die funktionell zur pathologischen Veränderung des Brustkorbs und der Wirbelsäule geführt habe. Die Leitende Ärztin Dr. T, Abteilung für Plastische Chirurgie des St. F-Krankenhauses, P, berichtete in ihrer Bescheinigung vom 18.02.2002 darüber, dass die Klägerin über durch die Schwere der Brüste verursachte ausgeprägte Rückenbeschwerden geklagt und angegeben habe, sie sei in ihrer Beweglichkeit erheblich behindert. Die Beklagte lehnte die Gewährung der MRP durch den Bescheid vom 04.07.2002 nach Einholung eines Gutachtens des Dr. F, Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), mit der Begründung ab, dass hinsichtlich der Brüste der Klägerin ein regelwidriger Körperzustand mit Behandlungsbedürftigkeit nicht vorliege.
Dagegen legte die Klägerin am 17.07.2002 Widerspruch ein, den die Beklagte durch den Widerspruchsbescheid vom 11.11.2002 nach Einholung weiterer Gutachten des MDK (Dr. X vom 22.08.2002, Dr. T1 vom 23.10.2002) zurückwies: Die objektivierbaren Funktionseinschränkungen der Halswirbelsäule und Brustwirbelsäule seien nicht durch zu große Brüste verursacht. Es gebe keine wissenschaftlichen Studie, die zweifelsfrei belege, dass durch übergroße Brüste wirbelsäulenassoziierte Beschwerden ausgelöst oder unterhalten würden.
Die Klägerin hat am 28.11.2002 Klage vor dem Sozialgericht Dortmund erhoben.
Sie hat vorgetragen, dass ein Zusammenhang zwischen den Wirbelsäulenbeschwerden und der Größe ihrer Brüste vorliege. Orthopädische Behandlungsmaßnahmen sowie Krankengymnastik hatten zu keiner Besserung geführt. Außerdem leide sie unter dem Erscheinungsbild, das sie aufgrund der Größe der Brüste biete.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid vom 04.07.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für eine bei ihr vorzunehmende Mammareduktionsplastik zu übernehmen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat an ihrer Auffassung festgehalten, dass ein Zusammenhang zwischen den Wirbelsäulenbeschwerden der Klägerin und der Größe der Brüste nicht bestehe.
Das Sozialgericht hat Befunde der behandelnden Ärzte der Klägerin eingeholt.: Dr. T hat in ihrem Bericht vom 05.03.2003 mitgeteilt, dass die Klägerin unter erheblichen Beschwerden im Bereich von Hals- und Brustwirbelsäule leide und dass eine Indikation für eine chirurgische Verkleinerung der Brüste gegeben sei. Der Facharzt für Orthopädie N, C, hat unter dem 10.04.2003 berichtet, dass eine chronische Überlastung der Halswirbelsäule/Brustwirbelsäule bei Mammahyperplasie bestehe. Die Kinderärztin Dr. C hat in ihrem Bericht vom 20.05.2003 angegeben, dass der Beginn einer BWS-Kyphose mit Hyperlordose im LWS-Bereich bestehe; die HWS-Beweglichkeit sei bezogen auf das Alter durch einen syndrombedingten kurzen Hals mit pterygealen Hautfalten eingeschränkt.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens der Ärztin für Orthopädie Dr...