Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung. Übernahme der Kosten für den Besuch einer niedersächsischen Tagesbildungsstätte durch ein in Nordrhein-Westfalen wohnendes Kind. Nachrang der Sozialhilfe. Betroffensein des Kernbereichs pädagogischer Arbeit. keine Verweisung auf die nächstgelegene nordrhein-westfälische Förderschule. Besuch aus schwerwiegenden subjektiven Gründen nicht zumutbar. keine angemessene Beschulung

 

Orientierungssatz

1. Zwar ist der Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule - und damit im Regelfall auch das Schulgeld, mit welchem der Unterricht finanziert wird - den Regelungen der Eingliederungshilfe grundsätzlich entzogen (vgl BSG vom 15.11.2012 - B 8 SO 10/11 R = BSGE 112, 196 = SozR 4-3500 § 54 Nr 10).

2. Gleichwohl verbleibt auch im Kernbereich der Schulbildung ausnahmsweise Raum für Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn nämlich der Besuch einer öffentlichen (und damit für den Sozialhilfeträger kostenfreien) Schule aus objektiven Gründen (zB wegen der räumlichen Entfernung vom Wohnort) oder aus schwerwiegenden subjektiven (persönlichen) Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist (vgl BVerwG vom 2.9.2003 - 5 B 259/02 und BSG vom 22.3.2012 - B 8 SO 30/10 R = BSGE 110, 301 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8 unter Bezugnahme auf BVerwG vom 13.8.1992 - 5 C 70/88 = Buchholz 436.0 § 11 BSHG Nr 16).

3. Jedenfalls dann, wenn seitens des zuständigen Schulträgers keine Schule zur Verfügung steht, die den Hilfebedürftigen unter Berücksichtigung seiner Behinderungen iS des § 54 Abs 1 S 1 SGB 12 angemessen beschulen könnte, liegen schwerwiegende subjektive Gründe vor, welche Eingliederungshilfe durch Übernahme der gesamten Beschulungskosten ausnahmsweise zulassen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 21.09.2017; Aktenzeichen B 8 SO 24/15 R)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 26.06.2012 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers auch für das Berufungsverfahren. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Übernahme der Kosten für den Besuch einer Tagesbildungseinrichtung in Niedersachsen seit Beginn des Schuljahrs 2008/2009.

Der am 00.00.2001 geborene Kläger, der über kein Einkommen verfügt, leidet im Wesentlichen an einer leichten Intelligenzminderung (IQ von 62) sowie einer generalisierten Angststörung.

Von August 2005 bis 2008 besuchte er den heilpädagogischen Kindergarten am T in Bad M (Niedersachsen). Dieser ist von seinem Wohnort ca. 14,5 km entfernt; Träger ist der Beigeladene zu 2. Die Kosten für die heilpädagogischen Leistungen und die Fahrten zwischen Wohnung und Einrichtung übernahm der Beklagte unter Heranziehung der Eltern zu einem monatlichen Kostenanteil zunächst bis zum voraussichtlichen Beginn der Schulpflicht (Bescheide vom 17.12.2004 und 16.08.2005) sowie - nach Zurückstellung des Klägers vom Schulbesuch für das Schuljahr 2007/2008 - bis Juli 2008 (Bescheid vom 22.08.2007).

Im Hinblick auf die bevorstehende Einschulung des Klägers stellte der Beigeladene zu 1 mit (bestandskräftig gewordenen) Bescheiden vom 12.06.2007 und 11.06.2008 den sonderpädagogischen Förderbedarf des Klägers im Förderschwerpunkt "Geistige Entwicklung" fest und wies den Kläger mit Wirkung vom 01.08.2007 einer entsprechenden Förderschule zu. Dabei ging der Beigeladene zu 1 im Bescheid vom 11.06.2008 davon aus, dass der Kläger demnächst die N-Schule in H als nächstgelegene entsprechende (nordrhein-westfälische) Förderschule besuchen werde. Anderenfalls sollten die Eltern den Beigeladenen zu 1 und die N-Schule informieren. Grundlage der Bescheide war u.a. ein pädagogisches Gutachten der Sonderschullehrerinnen C und I vom 30.05.2007, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird.

Die N-Schule ist etwa 27 km von der Wohnung des Klägers entfernt; mittels Sammelbeförderung (Schülerspezialverkehr) würde ein Transport des Klägers zu dieser Schule pro Weg maximal 60 Minuten dauern. Der Unterricht an der N-Schule beginnt montags bis freitags gleitend zwischen 8.15 Uhr und 8.30 Uhr. Er endet montags bis donnerstags um 15.00 Uhr, freitags um 12.30 Uhr. Wegen der weiteren Rahmenbedingungen der dortigen Beschulung, u.a. der Größe der Schule und Klassen, der Organisation, des Förderkonzepts sowie des Betreuungsschlüssels wird auf die Bekundungen des dortigen Schulleiters, des Zeugen L, in dem zwischen den Beteiligten anhängig gewesenen Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (Sozialgericht Detmold - S 16 SO 10/09 ER) sowie in der öffentlichen Sitzung vom 11.06.2014 des bei dem Senat anhängig gewesenen Streitverfahrens L 20 SO SO 418/11 Bezug genommen; die damalige Sitzungsniederschrift hat der Senat zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens gemacht.

Mit Beginn des Schuljahrs 2008/2009 meldeten die Eltern den Kläger nicht auf der N-Schule, sondern auf der T-Schule in Bad M an. An dieser Schule wird der Kläger sei...

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