Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf für erwerbsfähigen Gehbehinderten. fehlende Anspruchsgrundlage. keine analoge Anwendung der § 28 SGB 2 und § 30 SGB 12. Ungleichbehandlung mit Sozialhilfebeziehern

 

Orientierungssatz

Das SGB 2 bietet - außer in § 21 Abs 4 SGB 2 - keine Anspruchsgrundlage für erwerbsfähige schwer- und gehbehinderte Hilfebedürftige, um über die in § 20 SGB 2 normierte Regeleistung einen Mehrbedarf wegen Schwerbehinderung zu erhalten. Ein Anspruch lässt sich darüber hinaus auch nicht aus § 30 SGB 12, Art 3 Abs 1 GG in Verbindung mit § 30 Abs 1 SGB 12 oder § 28 Abs 1 S 3 Nr 4 SGB 2 oder § 73 SGB 12 herleiten. Der erwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige kann keine vollkommene Gleichbehandlung mit dem Bezieher von Sozialhilfe verlangen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 18.02.2010; Aktenzeichen B 4 AS 29/09 R)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 04.09.2008 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis zum 31.05.2006 unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für erwerbsfähige Menschen mit Schwerbehinderung.

Die am 00.00.1967 geborene Klägerin bezog bis zum 25.07.2004 Arbeitslosengeld, danach bis zum 20.08.2004 Krankengeld und anschließend Arbeitslosenhilfe. Bei der Klägerin sind die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "erhebliche Gehbehinderung" ("G") und ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 anerkannt.

Seit dem 01.07.2006 bezieht die Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung von der Deutschen Rentenversicherung Bund (Bescheid vom 20.04.2007). Ergänzend erhält die Klägerin Hilfe zum Lebensunterhalt von der Stadt Düsseldorf in Höhe von 169,39 EUR, wobei 58,99 EUR auf einen Mehrbedarf wegen Schwerbehinderung entfallen.

Am 03.11.2004 beantragte die Klägerin Leistungen nach dem SGB II. Sie bewohnt mit S O in Wohngemeinschaft eine Unterkunft mit einer Wohnfläche von 65,3 m². Mit Bescheid vom 23.11.2004 bewilligte die Beklagte Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 01.01.2005 bis 31.05.2005 in Höhe von 819,53 EUR monatlich, errechnet aus 345 EUR Regelleistung, 314,53 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung (Anteil Klägerin je 1/2 = Kaltmiete 249,25 EUR, Betriebskosten 52,50 EUR, Heizkosten 12,78 EUR) und 160 EUR befristeter Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld. Jeweils auf Antrag gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 19.04.2005 für den Monat Juni 819,53 EUR (345 EUR Regelleistung, 314,53 EUR, Leistungen für Unterkunft und Heizung, 160 EUR befristeter Zuschlag), für den Monat Juli 806,19 EUR und für die Zeit vom 01.08.2005 bis 30.11.2005 739,53 EUR (d.h. einen befristeten Zuschlag in Höhe von 146,66 EUR bzw. 80 EUR).

Gegen die Bewilligungsbescheide erhob die Klägerin mit Schreiben vom 27.12.2004, 30.01.2005 und 09.05.2005 Widerspruch und begehrte u.a. einen Mehrbedarf wegen Schwerbehinderung nach § 21 Abs. 4 SGB II bzw. § 30 Abs. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Mit weiterem Bescheid vom 18.11.2005 gewährte die Beklagte für den Zeitraum von Dezember 2005 bis Mai 2006 monatliche Leistungen in Höhe von 739,53 EUR. Auch insoweit legte die Klägerin Widerspruch ein und wies darauf hin, dass ein Mehrbedarf allein schon aus Gründen der Gleichbehandlung mit den Beziehern von Sozialhilfe anzuerkennen sei. Im Rahmen der Sozialhilfe könne ein individueller Mehrbedarf, z.B. bei Schuhen, nach § 30 SGB XII gewährt werden. Da die Krankenkassen wegen der Gesundheitsreform die Kosten für Schuherhöhungen nicht mehr für eine beliebige Anzahl von Schuhen zahle, sei ihr persönlicher Bedarf nicht mehr gedeckt.

Die Beklagte wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 15.12.2005 zurück und führte aus, dass die Klägerin als erwerbsfähige Hilfebedürftige Leistungen nach dem SGB II erhalte. Eine gesetzliche Anspruchsgrundlage für den begehrten Mehrbedarf sei nicht ersichtlich. Ein Rückgriff auf die Regelungen der Sozialhilfe verbiete sich.

Die Klägerin hat am 16.01.2006 bei dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf zwei Klagen eingereicht und ihren Anspruch auf Gewährung eines behinderungsbedingten Mehrbedarfs weiter verfolgt. Der Gesetzgeber habe schlichtweg vergessen, dass auch Schwerbehinderte Grundsicherungsleistungen beziehen können. Es bestehe eine Regelungslücke. Für die Bezieher von Sozialgeld sei mit der Einfügung des § 28 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 SGB II ein Anspruch auf einen behinderungsbedingten Mehrbedarf normiert worden. Daher sei in Analogie zu den Regelungen des SGB XII und des SGB II der Mehrbedarf zu gewähren. Mit der weiteren Klage hat die Klägerin u.a. eine höhere Regelleistung begehrt.

Das SG hat die Klagen mit Beschluss vom 05.06.2008 verbunden und den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin M mit Beschluss vom 21.06.2008 abgelehnt. Die Rechtsanwältin hat daraufhin das Mand...

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