Entscheidungsstichwort (Thema)

Anerkennung einer Ghetto-Beschäftigung als Beitragszeit nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto. Ghetto Kaunas/Kowno. eigener Willensentschluss. Zwangsarbeit. Lebensmittelbezug

 

Orientierungssatz

Zur Glaubhaftmachung einer Beschäftigung iS des § 1 Abs 1 S 1 Nr 1 ZRBG im Ghetto Kaunas/Kowno in der Zeit von September 1941 bis September 1943.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 27.10.2006 wird zurückgewiesen. Kosten haben sich die Beteiligten nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG wegen einer Beschäftigung im Ghetto Kaunas (Kowno) in der Zeit von September 1941 bis September 1943.

Die am 1927 geborene Klägerin lebt heute in Israel und besitzt die israelische Staatsangehörigkeit. Ein Verfahren nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) hat die Klägerin nicht durchgeführt.

Im Jahr 1993 stellte die Klägerin einen Antrag auf Entschädigung durch den Art. 2-Fonds der Claims Conference. Im Antragsformular gab die Klägerin an (Bl. 54 Verwaltungsakte), sie sei von August 1941 bis Juli 1944 mit ihrer Mutter und ihrer Schwester im Ghetto Kaunas inhaftiert gewesen. In Kaunas habe es einen Flughafen gegeben, wo sie schwer habe arbeiten müssen. Es habe wenig zu essen gegeben, viele seien aus Hunger und an verschiedenen Krankheiten gestorben. Im Juli 1944 seien die Überlebenden dann nach Stutthof transportiert worden.

Im Januar 1999 stellte die Klägerin einen ersten Antrag auf Gewährung einer Altersrente unter Anerkennung von Arbeitszeiten im Ghetto. Sie gab an, als "Schwarzarbeiterin" tätig gewesen zu sein und beim Bau des Flugplatzes gearbeitet zu haben.

Im Jahr 2001 beantragte die Klägerin eine Entschädigung durch den Zwangsarbeiter Fonds der Claims Conference. Im Antragsformular gab die Klägerin an, sie habe im Jahr 1942 im Ghetto Kaunas am Flugplatz Sklaven-bzw. Zwangsarbeit verrichtet.

Im Juli 2002 stellte die Klägerin einen Antrag auf Gewährung einer Regelaltersrente unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). Im Antragsformular der Beklagten gab die Klägerin an, dass sie von September 1941 bis Oktober 1942 beim Bau des Flugplatzes Alexotas, dann bis Oktober 1943 bei der Reparatur und Wäsche von Militäruniformen und anschließend bis Juli 1944 "bei U" an einer Sägemaschine gearbeitet habe. Im Fragebogen der Beklagten führte die Klägerin ergänzend aus, dass sie in der Zeit von September 1941 bis Oktober 1942 außerhalb des Ghettos gearbeitet habe. Auf dem Weg von und zur Arbeit außerhalb des Ghettos sei sie zusammen mit anderen Arbeitskräften gegangen und von einem Kolonnenführer bewacht bzw. begleitet worden. Bei ihren Arbeitsstellen habe sie 8-10 Stunden pro Tag und sechs Tage die Woche gearbeitet. Am Flugplatz habe sie nur Beköstigung erhalten. Für ihre Arbeit in der Wäschewerkstatt und in der Firma U, wo sie an der Sägemaschine gearbeitet habe, habe sie von der jeweiligen Arbeitsstelle wöchentlich Wertcoupons erhalten, an deren Höhe sie sich nicht erinnere. Während der Arbeit habe sie zudem eine dünne Suppe erhalten.

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 08.07.2005 ab. Bei der Arbeit auf dem Flugplatz sei von Zwangsarbeit auszugehen. Die Arbeiten in einer Wäscherei und im Sägewerk seien hingegen schon dem Grunde nach nicht glaubhaft gemacht. Denn im Verfahren gegenüber der Claims Conference habe die Klägerin nur von einer Tätigkeit auf dem Flugplatz gesprochen. Zudem könne die Zeit ab dem 14.09.1943 ohnehin nicht als Ghetto-Beitragszeit anerkannt werden, weil nur bis zum diesem Zeitpunkt in Kaunas ein Ghetto bestanden habe.

Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch. Sie reichte eine Erklärung der Zeugin B T ein. Diese gab unter dem 18.09.2005 an, zusammen mit der Klägerin am Flugplatz Alexotas gearbeitet und am Arbeitsplatz Beköstigung erhalten zu haben. Von ca. Oktober/November 1942 bis Oktober 1943 habe die Klägerin dann innerhalb des Ghettos eine Tätigkeit in der "Wäschewerkstatt" ausgeübt und einen wöchentlichen Lohn in Form von Wertcoupons erhalten. Dann habe sie beim U (Sägerei) außerhalb des Ghettos gearbeitet und gleichfalls Wertcoupons erhalten.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 01.12.2005 zurück. Bei den Arbeitsverrichtungen außerhalb des Ghettos handele es sich um eine für die damalige Zeit nationalsozialistischer Verfolgung typische Form der Zwangsarbeit unter direkter Kontrolle und Aufsicht der Besatzer bei Unterbringung irn Ghetto und notdürftiger Versorgung. Auch vor dem Hintergrund der Verordnung vom 16.08.1941 über die Einführung des Arbeitszwangs für die jüdische Bevölkerung im Reichskommissariat Ostland sei ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis auf freiwilliger Basis nicht überwiegend wahrscheinlich.

Die Klägerin hat am 28.12.2005 Klage erhob...

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