Entscheidungsstichwort (Thema)

Regress gegenüber dem Vertragsarzt wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise

 

Orientierungssatz

1. Die Wirtschaftlichkeit ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen erfolgt durch statistische Vergleichsprüfung. Hierbei werden die Abrechnungs- bzw. Verordnungswerte des Vertragsarztes mit denen seiner Fachgruppe im selben Quartal verglichen. Ergibt diese Prüfung, dass der Behandlungs- bzw. Verordnungsaufwand des Arztes in einem offensichtlichen Missverhältnis zum durchschnittlichen Aufwand der Vergleichsgruppe steht, so hat dies die Wirkung eines Anscheinsbeweises der Unwirtschaftlichkeit.

2. Es ist Aufgabe des Vertragsarztes, den sich aus den Abrechnungswerten ergebenden Anscheinsbeweis zu entkräften. Dazu muss er darlegen, dass bei ihm weitere besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende Umstände vorliegen, die für die zum Vergleich herangezogenen Ärzte untypisch sind. Hierzu gehören Praxisbesonderheiten und kompensierende Einsparungen.

3. Praxisbesonderheiten sind aus der Zusammensetzung der Patienten herrührende Umstände, die sich auf das Behandlungsverhalten des Arztes auswirken und in den Praxen der Vergleichsgruppe nicht in entsprechender Weise anzutreffen sind.

4. Macht der Vertragsarzt eine höhere altersbedingte Morbiditätsrate seiner Patienten als Praxisbesonderheit geltend, so muss er substantiiert darlegen, bei welchem der von ihm behandelten Patienten aufgrund welcher Erkrankungen im Einzelnen welcher im Vergleich zum Durchschnitt der Versichertengruppe der Rentner erhöhte Verordnungsaufwand erforderlich ist.

5. Ebenso ist es hinsichtlich kompensatorischer Einsparungen Aufgabe des geprüften Arztes, die durch Überschreitungen im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses bewiesene unwirtschaftliche Behandlungsweise zu widerlegen. Hierzu muss er nachweisen, durch welche vermehrten Leistungen er in welcher Art von Behandlungsfällen aus welchem Grund welche Einsparungen erzielt hat. Entscheidend ist die strukturelle Darlegung der methodischen Zusammenhänge und der medizinischen Gleichwertigkeit.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 25.02.2010 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der bis einschließlich Januar 2010 als praktischer Arzt in D zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Kläger wendet sich gegen Regresse wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise in den Quartalen I/1999 bis I/2001.

Der Prüfungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen (Prüfungsausschuss) setzte auf Prüfanträge der Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassen/Ersatzkassen in Westfalen-Lippe bzw. von Amts gegen den Kläger nach dessen Anhörung Regresse in Gesamthöhe von 55.332,82 EUR wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise bei veranlassten physikalisch-medizinischen Leistungen (vpmL) fest (Beschluss vom 20.09.2001 i.H.v. 19.717,43 EUR (38.563,96 DM) für die Quartale I/1999 bis IV/1999, Beschluss vom 19.06.2002 i.H.v. 32.950,12 EUR (64.444,84 DM) für die Quartale I/2000 bis IV/2000 sowie Beschluss vom 09.06.2004 i.H.v. 2.665,27 EUR für das Quartal I/2001). Dabei legte der Prüfungsausschuss Überschreitungen der vpmL-Verordnungskosten des Klägers im Vergleich zu den nach Mitgliedern, Familienangehörigen und Rentnern einschließlich Familienangehörigen gewichteten Durchschnittswerten der Fachgruppe der Allgemeinmediziner von +94,8 % (Quartal I/2001) bis +244,2 % (Quartal III/2000) zugrunde.

Mit seinen Widersprüchen verwies der Kläger insbesondere auf die Altersstruktur seiner Praxis. Der Rentneranteil sei im Vergleich zur Fachgruppe der Allgemeinmediziner mit 48,85 % (Quartal I/2001) bis 53, 2% (Quartal III/2000) sehr hoch. Auffällig sei der mit 30 % hohe Anteil der Patienten im Alter zwischen 70 und 100 Jahren. Die Betreuung der Patientengruppe der polymorbiden Rentner, die wegen ihrer Größe im Vergleich zur Fachgruppe eine Praxisbesonderheit darstelle, erkläre die Überschreitungen bei den Heilmittelverordnungen. Aus den beigefügten beispielhaften Auswertungen seiner vpmL-Verordnungen für das Quartal I/2000 und den ebenfalls überreichten Krankenblättern ergebe sich, dass in diesem Quartal insgesamt 84 Patienten physikalisch-medizinische Leistungen verordnet worden seien. Von diesen seien 43 Rentner, darunter acht Heimpatienten, gewesen. Insgesamt acht Patienten hätten Verordnungen wegen eines Schlaganfalls und fünf Patienten wegen Lymphödemen erhalten. Weiterhin fielen sieben Patienten mit Gelenkprothesen und fünf mit Frakturen auf. Zudem gehörten ein Fall mit Parkinson und ein Fall mit Multipler Sklerose zu seinem Patientengut. Ferner seien elf Patienten wegen ausgeprägter HWS/LWS-Syndrome und drei wegen eines Bandscheibenvorfalls behandelt worden und hätten ebenfalls Verordnungen erhalten. Die Patienten mit Bandscheibenvorfällen litten nachweislich unter ausgeprägten therapieresistenten radikulären Beschwerden. Das Verordnungsvolumen der aufgelisteten Rentner betra...

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