Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch des Sozialhilfeträgers auf Erstattung von Kosten der beruflichen Rehabilitation durch die Bundesagentur für Arbeit. Verfahren der Zuständigkeitserklärung bzw -feststellung
Orientierungssatz
1. Zum Anspruch des nach § 2 Abs 2 BSHG (§ 2 Abs 2 SGB 12) nachrangig verpflichteten Sozialhilfeträgers gem § 104 Abs 1 SGB 10 auf Erstattung der Kosten einer Berufsfindungsmaßnahme, für die die Bundesagentur für Arbeit nach §§ 98, 102 SGB 3 iVm § 33 SGB 9 vorrangig leistungspflichtig gewesen wäre .
2. Die Regelungen des § 14 Abs 1 und Abs 2 SGB 9 über die Zusammenarbeit von Leistungsträgern mit einer vorläufigen Zuständigkeit von Leistungsträgern gegenüber den endgültig zuständigen Leistungsträgern lassen den sich aus der Nachrangigkeit der Sozialhilfe ergebenden Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers nach § 104 Abs 1 SGB 10 nicht entfallen .
3. Ausgehend vom Zweck des § 14 SGB 9 schließen auch die Erstattungsregelungen des § 14 Abs 4 S 1 und S 3 SGB 9 nach ihrem Regelungsgehalt einen Erstattungsanspruch nach § 104 SGB 10 nicht aus .
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 22.03.2005 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die für Frau L N entstandenen Kosten in Höhe von 7.329,34 Euro zu erstatten. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Im Streit ist die Übernahme von Kosten für eine Berufsfindungsmaßnahme durch die Beklagte.
Die im Jahre 1977 geborene L N leidet an einer links- und beinbetonten Tetraspastik (spastische Lähmung beider Beine und Arme). Sie ist auf einen rollstuhlgerechten, ergonomisch gestalteten Arbeitsplatz angewiesen. Ausweislich des Schwerbehindertenausweises vom 15.6.1999 sind bei ihr ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen "G", "aG", "H" und "RF" festgestellt. Nach dem Abitur nahm L N zunächst ein Studium der Theaterwissenschaften (Hauptfach) auf, welches sie nach eigenen Angaben wegen Überforderung im Jahre 2002 aufgab.
Mit einem am 07.02.2002 bei der Stadt C eingegangenen Schreiben beantragte L N die Übernahme der Kosten für eine berufliche Rehabilitation in Form einer sechswöchigen Berufsfindungsmaßnahme im Berufsförderungswerk I vom 28.10.2002 bis 06.12.2002. Die beim Gesundheitsamt der Stadt C tätige Ärztin Dr. D führte in ihrer ärztlichen Stellungnahme vom 25.2.2002 aus, die mehrwöchige Berufsfindung mit Hilfe von Ärzten und Therapeuten sei die einzige sinnvolle Möglichkeit, einen der Krankheit entsprechenden Beruf zu finden. L N sei hoch motiviert, weil sie ihre jetzige Situation als unbefriedigend empfinde. Die Stadt C leitete den Antrag und das ärztliche Gutachten mit Schreiben vom 27.2.2002 an den Kläger weiter. Die Unterlagen gingen dort am 05.03.2002 ein.
Mit Schreiben vom 8.3.2002, bei der Beklagten eingegangen am 11.03.2002, führte der Kläger aus, L N habe die Übernahme der Kosten für eine vier- bis sechswöchige Berufsfindungsmaßnahme im Berufsförderungswerk I beim Landschaftsverband beantragt. Da hierfür die Zuständigkeit der Beklagten gegeben sei, leite sie die Antragsunterlagen an diese weiter. Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 13.3.2002 mit, nach § 6 Abs. 1 Nr. 7 des Sozialgesetzbuchs - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) sei der Träger der Sozialhilfe Rehabilitationsträger für die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 5 Nr. 2 SGB IX). Da die Zusendung der Antragsunterlagen nicht innerhalb der 2-Wochen-Frist des § 14 SGB IX erfolgt sei, könne sie den Antrag nicht mehr annehmen.
Der Kläger entgegnete mit Schreiben vom 19.3.2002, die Frist des § 14 SGB IX beginne erst mit der Vorlage sämtlicher entscheidungsrelevanter Unterlagen. Das für den Nachweis über die Zugehörigkeit zum Personenkreis des § 39 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) erforderliche amtsärztliche Gutachten sei am 25.2.2002 erstellt worden und am 27.02.2002 bei der Stadt C eingegangen. Die Abgabe an die Beklagte sei noch fristgerecht erfolgt.
Nachfolgend förderte der Kläger die Berufsfindungsmaßnahme der L N im Berufsförderungswerk I vom 28.10.2002 bis 6.12.2002. Mit Schreiben vom 16.4.2003 machte er gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch in Höhe der ihm entstandenen Aufwendungen von 7.329,34 Euro geltend. Der Betrag ergab sich unter Berücksichtigung des Tagessatzes für die Berufsfindung vom 28.10.2002 bis 06.12.2002 i.H.v. 137,60 Euro (Gesamtbetrag 5.504 Euro), den Zuschlag für die Berufsfindung i.H.v. 43 Euro täglich (Gesamtbetrag 1.720 Euro) sowie der Kosten für das ärztliche Gutachten vom 18.11.2002 i.H.v. 105,34 Euro.
Die Beklagte teilte mit, ihre Prüfung habe bereits im April 2002 ergeben, dass sie für die beantragte Erbringung der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zuständig sei, da ihr der Rehabilitationsantrag außerhalb der 2-Wochen-Frist des § 14 Abs. 1 SGB IX zugesandt worden sei. Mit Überschreiten dieser...