Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrecht. Leistungsversagung wegen fehlender Mitwirkung. ordnungsgemäße Bekanntgabe des Versagungsbescheides. Geschäftsunfähigkeit des Adressaten. rügelose Einlassung des besonderen Vertreters. Hinweis auf die Folgen fehlender Mitwirkung. fehlende Reflexionsfähigkeit. Erforderlichkeit eines Ersuchens um Bestellung eines geeigneten Vertreters im Sinne von § 15 Abs 1 Nr 4 SGB 10

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Notwendigkeit des Ersuchens um Bestellung eines geeigneten Vertreters iS von § 15 Abs 1 Nr 4 SGB X bei fehlender Handlungs- und Prozessfähigkeit, wenn das Betreuungsgericht die Bestellung eines rechtlichen Betreuers nach § 1896 BGB abgelehnt hat.

 

Orientierungssatz

1. Ein Verwaltungsakt, der einer rechtlich handlungsunfähigen Person im Sinne des § 11 SGB 10 zugegangen ist, ist mangels Bekanntgabe gemäß § 37 SGB 10 unwirksam. Bei Geschäftsunfähigkeit eines Beteiligten wird ein Verwaltungsakt vielmehr erst wirksam, wenn er seinem besonderen Vertreter oder Betreuer bekanntgegeben wird (vgl BSG vom 2.7.1997 - 9 RV 14/96 = BSGE 80, 283 = SozR 3-1300 § 50 Nr 19).

2. Ein gesetzlicher Vertreter - und demgemäß auch der ihn ersetzende besondere Vertreter gemäß § 72 SGG - kann durch rügelose Einlassung das Recht auf ordnungsgemäße Bekanntgabe des Verwaltungsakts verwirken mit der Folge, dass der Verwaltungsakt ex tunc wirksam wird.

3. Konnte der Mitwirkungspflichtige die Tragweite seiner unterlassenen Mitwirkung nicht überblicken und sachgerecht reagieren, so steht dies einer unterlassenen Aufklärung im Sinne des § 66 Abs 3 SGB 1 gleich.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 23.06.2015 geändert. Der Bescheid vom 10.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2014 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Versagungsbescheides betreffend die Gewährung von Leistungen für eine Haushaltshilfe.

Der 1948 in Bulgarien geborene, ledige und alleinstehende Kläger leidet seit einer Wirbelsäulenoperation aus dem Jahr 1979 an einer multiplen Paraspastik, die zu erheblichen Einschränkungen seiner Mobilität führt. Er ist promovierter Kunstmaler. Seit 1999 hat er allein vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen 649 Verfahren geführt.

Mit Schreiben vom 06.07.2013 beantragte der Kläger u.a. finanzielle Unterstützung für eine Haushaltshilfe. Die Beklagte wandte sich daraufhin mit Schreiben vom 25.07.2013 an den Kläger und teilte mit, dass die Kosten für eine Haushaltshilfe im Rahmen der Hilfe zur Pflege nach §§ 61 ff. SGB XII im Umfang von 15 Stunden monatlich und einem Stundenlohn von bis zu 12 EUR inkl. Abgaben grundsätzlich übernommen werden könnten. Voraussetzung sei jedoch eine Anmeldung des Haushaltshelfers bei der Minijobzentrale sowie dessen schriftliche Bestätigung zu Beschäftigung, Stundenumfang und Höhe des gezahlten Stundenlohnes. Das von der Pflegekasse gezahlte Pflegegeld sei teilweise für die Kosten der Haushaltshilfe einzusetzen. Alternativ könne auch ein ambulanter Pflegedienst in Anspruch genommen werden.

Hiergegen wandte sich der Kläger (Schreiben vom 03.08.2013) und führte aus, aus dem Pflegegutachten ergebe sich nicht, dass er Teile des Pflegegeldes für eine Haushaltshilfe einsetzen müsse. Es sei vereinbart, dass er die vollen Leistungen für eine Haushaltshilfe beim Sozialamt beantragen könne. Er bitte um Gewährung von Leistungen in Höhe von 200 EUR, weil ihm schon im Jahre 1997 390 DM bewilligt worden seien.

Am 08.08.2013 forderte die Beklagte den Kläger zur Bearbeitung u.a. seines Antrags auf eine Haushaltshilfe auf, Angaben und Nachweise über seine aktuelle Einkommens- und Vermögenssituation vorzulegen. Angefordert wurde eine schriftliche Erklärung sowie Angaben zu einer etwaigen Rente, Nachweise über sämtliche Einkünfte, eine aktuelle Mietbescheinigung, Kontoauszüge aller Konten seit 01.06.2013, Nachweise über sonstiges Vermögen sowie eine Bestätigung der Krankenkasse über seine aktuelle Versicherung. Die Offenlegung seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse lehnte der Kläger jedoch ab (Schreiben vom 10.08.2013). Seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse hätten nichts zu tun mit seinem Antrag; es gehe um einen Nachteilsausgleich nach § 126 SGB IX. Er teilte jedoch mit, dass er weder eine Rente noch Wohn- oder Pflegegeld erhalte. Einen Rentenantrag werde er nicht stellen. Eine Mietbescheinigung habe mit seinem Antrag nichts zu tun. Wie er krankenversichert sei, wisse er nicht und brauche er auch nicht mitzuteilen.

Die Beklagte wies den Kläger darauf hin (Schreiben vom 09.09.2013), § 126 SGB IX sei keine Anspruchsgrundlage. Als solche kämen allein die Vorschriften des SGB XII in Betracht. Diese seien nach § 2 SGB XII von Einkommen und Vermögen des Betroffenen abhängig. Es würden daher folgende Unterlagen benötigt: Sozialhilfeantrag und Erklärung über Vermögen, Bescheid über Alt...

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