Entscheidungsstichwort (Thema)

Brustverkleinerungs-Operation wegen körperlicher Fehlfunktion oder Entstellung. Verbesserung von Wirbelsäulenbeschwerden

 

Orientierungssatz

1. Unter dem maßgeblichen Gesichtspunkt der körperlichen Fehlfunktion stellen die Form und die Größe der Brust keine körperliche Anomalie dar, die als Krankheit zu bewerten wäre.

2. Die Größe der Mammae stellt regelmäßig auch unter dem Gesichtspunkt der Entstellung keine Krankheit dar.

3. Um eine Entstellung annehmen zu können, genügt nicht jede körperliche Anomalität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit erzeugt und damit zugleich erwarten lässt, dass die Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Beachtung Anderer wird und sich deshalb aus dem Leben der Gemeinschaft zurückzuziehen oder zu vereinsamen droht, so dass die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist (Anschluss: BSG, Urteil vom 28.02.2008; B 1 KR 19/07 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 14).

4. Es ist fraglich, ob eine Mammareduktion überhaupt geeignet wäre, zu einer Besserung von Wirbelsäulenbeschwerden beizutragen, denn es gibt keine wissenschaftlichen Erkenntnisse zu einem ursächlichen Zusammenhang zwischen orthopädischen Gesundheitsstörungen und der Brustgröße (Fortführung: LSG Essen, Beschluss vom 30.04.2012; L 1 KR 224/11 B, Urteile vom 24.01.2013; L 16 KR 226/11, vom26.04.2006; L 11 KR 24/05).

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 05.09.2011 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin zu Lasten der Beklagten eine Brustverkleinerungs-Operation beanspruchen kann.

Die Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Im Oktober 2009 beantragte sie die Übernahme der Kosten für eine Brustverkleinerungs-Operation (OP). Die Beklagte ließ sich durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) beraten, der nach einer Untersuchung der Klägerin die Notwendigkeit der beantragten Operation verneinte (Gutachten Dr. H vom 15.12.2009) und die Fortsetzung der Krankengymnastik, das Tragen eines besser stützenden BH und einer Gewichtsabnahme empfahl. Bei der 1975 geborenen, 1,72m großen und 106 kg schweren Klägerin (BMI 35,9) bestehe ein physiologischer Brustbefund im Rahmen des Übergewichts. Die Beklagte lehnte daraufhin die beantragte Leistung ab (Bescheid vom 20.01.2010) und wies nach erneuter Befassung des MDK auch den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 16.06.2010).

Die hiergegen gerichtete, am 14.07.2010 erhobene Klage hat die Klägerin damit begründet, dass ihre von Kindheit an überdurchschnittlich entwickelte Brust nach der Geburt ihrer Tochter im August 2008 noch um mindestens drei Cupgrößen zugenommen habe, was eine bei ihr bestehende Fehlhaltung der Wirbelsäule und die Entstehung von Krallenzehen zur Folge habe. Ihre seit der Pubertät bestehenden Rückenbeschwerden führe sie auf die Makromastie zurück. Medikamente habe sie deswegen nie genommen. Zusätzlich habe sie psychische Probleme. Nach erfolgloser Krankengymnastik, einer Diät "Schlank im Schlaf" und Schwimmversuchen bzw. Kinderschwimmen sehe sie keine andere Möglichkeit mehr als die beantragte OP. Das zuletzt 2006 besuchte Fitnessstudio sei zu teuer gewesen, die letzte Verordnung von Krankengymnastik 2009 erfolgt. Sie führe die Übungen täglich 5 bis 10 Minuten selbständig fort. Von ihr eigene Maßnahmen zur Gewichtsreduzierung zu fordern, werde dem Problem nicht gerecht. Helfen könne nur die OP.

Die Klägerin hat beantragt,

unter Aufhebung des Bescheides vom 20. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2010 die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Brustverkleinerungs-Operation zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat unter Bezug auf die von ihr eingeholten Stellungnahmen des MDK die Auffassung vertreten, der angegriffene Bescheid sei rechtmäßig. Heilmittel oder Reha-Sport habe die Klägerin nicht beansprucht.

Das Sozialgericht (SG) Dortmund hat die Klage mit Urteil vom 05.09.2011 abgewiesen. Die begehrte Operation sei im Rahmen der Krankenbehandlung nach § 27 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) weder geeignet noch erforderlich. Denn weder verursache die Größe der Brust bei der Klägerin Funktionsstörungen von erheblichem Krankheitswert noch sei die Klägerin hierdurch in dem Sinne entstellt, dass eine körperliche Unregelmäßigkeit so extremen und unzumutbaren Ausmaßes erreicht sei, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in Alltagssituationen nicht frei und unbefangen bewegen könne, weil sie ständig alle Blicke auf sich ziehe und zum Objekt der Neugier werde. Psychische Beeinträchtigungen aufgrund der Größe der Brust seien mit Mitteln der Psychotherapie zu behandeln, nicht durch Operation eines gesunden Organs. Behandlungsbedürftige funktionelle Defizite der Wi...

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