Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen der Zuerkennung des Merkzeichens Bl (Blind) - psychogene Blindheit

 

Orientierungssatz

1. Das Merkzeichen "Bl" - Blind - ist gemäß § 152 Abs. 1 S. 1 SGB 9 demjenigen zuzuerkennen, dem das Augenlicht vollständig fehlt.

2. Als blind ist in Übereinstimmung mit § 72 Abs. 5 SGB 12 auch ein behinderter Mensch anzusehen, dessen Sehschärfe auf keinem Auge und auch nicht beidäugig mehr als 1/50 beträgt oder wenn andere Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorliegen, dass sie dieser Beeinträchtigung der Sehschärfe gleichzustellen sind.

3. Blindheit i. S. des Schwerbehindertenrechts ist auf Störungen des Sehapparats beschränkt. Neuropsychologische (gnostische) Störungen des visuellen Erkennens sind nicht ausreichend (BSG Urteil vom 24. 10. 2019, B 9 SB 1/18 R).

4. Damit erfüllt eine rein psychogene Blindheit nicht die Voraussetzungen des Merkzeichens "Bl".

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 08.08.2014 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "Bl".

Bei der am 00.00.1962 geborenen Klägerin wurde erstmals 1997 wegen einer Krebserkrankung ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt. 2001 wurde der GdB auf 30 herabgesetzt. 2001 machte die Klägerin erstmals auch eine Augenerkrankung geltend. Nach einem Bericht des damals behandelnden Augenarztes betrug der Visus mit Korrektur rechts 0,5-0,6, links 1,0. In einem - erfolglosen - Widerspruch trug die Klägerin im Dezember 2001 vor, das damals zuständige Versorgungsamt L könne sich nicht vorstellen wie es sei, "bald blind durch die Gegend zu laufen". 2007 wurde auf einen Verschlimmerungsantrag hin maßgeblich wegen orthopädischer Leiden ein GdB von 40 festgestellt. 2008 stellte die Klägerin erneut einen Verschlimmerungsantrag wegen orthopädischer Leiden. In einem anschließenden sozialgerichtlichen Klageverfahren einigten sich die Beteiligten auf die Feststellung eines GdB von 50 (S 13 (12) SB 322/08). Dem lag insbesondere ein Gutachten des Facharztes für Innere Medizin, Sozialmedizin Dr. Q zugrunde, der den Einzel-GdB für das Funktionssystem Augen mit 30 bewertete. Die Klägerin hatte Dr. Q diverse Behandlungsunterlagen aus 2009 vorgelegt. Danach wurden radiologisch und neurologisch Beeinträchtigungen im Bereich der Sehbahnen und der Sehrinde ausgeschlossen. Gleichzeitig wurde aber ein weitgehend aufgehobenes Sehvermögen unklarer Genese beschrieben.

Am 07.10.2009 stellte die Klägerin den hier zugrunde liegenden Antrag. Sie sei blind. In dem von ihr verwendeten Formularantrag machte sie im Abschnitt für begehrte Merkzeichen kein Kreuz. Der zwischenzeitlich im Rahmen der Kommunalisierung der Versorgungsverwaltung zuständig gewordene Beklagte holte einen Befundbericht des Helios Klinikums X ein und zog ein augenärztliches Gutachten dieser Klinik (Prof. Dr. H) für den Landschaftsverband bei, wonach die von der Klägerin angegebene Blindheit ophthalmologisch nicht aufklärbar sei. Trotz der Angabe von Blindheit habe sich die Klägerin frei und sicher im Untersuchungszimmer bewegt. Der Beklagte holte außerdem versorgungsärztliche Stellungnahmen von Dr. T ein, wonach Blindheit nicht festgestellt werden könne. Mit Bescheid vom 08.02.2010 lehnte der Beklagte die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "Bl" ab. Die Klägerin legte am 01.03.2010 Widerspruch ein, den die Bezirksregierung N mit Widerspruchsbescheid vom 12.04.2010 zurückwies.

Die Klägerin hat am 06.05.2010 Klage vor dem Sozialgericht Köln erhoben und die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "Bl" ab dem 07.10.2009 begehrt. Sie hat vorgetragen, sie sei blind. Ihr sei nicht nur das "Benennen" optischer Wahrnehmungen, sondern auch das "Erkennen" unmöglich. Jedenfalls verstoße eine unterschiedliche Behandlung von Einschränkungen im Bereich des "Erkennens" und "Benennens" gegen den Gleichheitsgrundsatz. Entscheidend sei, dass sie ebenso wie ein organisch Blinder beeinträchtigt sei. Sie hat auf den Beschluss des BVerfG vom 07.05.1974 - 1 BvL 6/72 und das Urteil des LSG NRW vom 23.07.1991 - L 6 (7) V 245/90 Bezug genommen, ein Gutachten des Augenarztes Dr. W1 aus 2010 für die Deutsche Rentenversicherung (DRV) vorgelegt, wonach eine psychogene Blindheit bestehe und auf Gutachten im parallelen Klageverfahren gegen die DRV (S 25 R 1428/10) verwiesen.

Das Sozialgericht hat aus dem Klageverfahren S 25 R 1428/10 Gutachten des Facharztes für Augenheilkunde Dr. I sowie des Facharztes für Neurologie, Facharzt für Psychiatrie, Spezielle Schmerztherapie, Psychotherapie Dr. J jeweils aus 2011 beigezogen und Sachverständigengutachten aufgrund ambulanter Untersuchung des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. W, der Leitenden Oberärztin der Klinik für Augenheilkunde des Krankenhauses N Dr. S, jeweils...

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