Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen der Anerkennung einer hinzugetretenen weiteren Gesundheitsstörung als Folge eines anerkannten Arbeitsunfalls

 

Orientierungssatz

1. Bei einem anerkannten Arbeitsunfall erfolgt die Prüfung des Ursachenzusammenhangs zwischen einer unfallbedingten Gesundheitsstörung und einer hinzugetretenen weiteren Erkrankung nach der Theorie der wesentlichen Bedingung.

2. Ist ein komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS) als Unfallfolge anerkannt, aber bei Erlöschen des dem Versicherten bewilligten Verletztengeldes bereits ausgeheilt, so begründet dieses nicht eine Gewährung von Verletztenrente nach § 56 Abs. 1 SGB 7.

3. Nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB 7 sind Folgen eines Versicherungsfalls u. a. auch Gesundheitsschäden infolge der Durchführung einer Heilbehandlung. Die Unterlassung einer möglicherweise gebotenen Heilbehandlung erfüllt nicht den Tatbestand dieser Norm. Diese stellt ausschließlich auf die tatsächliche Durchführung der Heilbehandlung ab.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 26.03.2019; Aktenzeichen B 2 U 258/18 B)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 26.08.2015 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt 20 % der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen. Weitergehende Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit stehen die Anerkennung eines komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS) über den 31.12.2011 hinaus als Unfallfolge sowie die Gewährung einer Verletztenrente wegen Folgen eines Arbeitsunfalles vom 07.02.2011.

Die am 00.00.1969 geborene Klägerin war als Kinderärztin in der W Kinderklinik E beschäftigt. Ausweislich der ärztlichen Unfallmeldung des Arbeitgebers vom 09.02.2011 stach sie sich am 07.02.2011 selbst beim Legen eines Zugangs bei einem Kind mit einer Nadel in den rechten Daumen.

Im Durchgangsarztbericht von PD Dr. H, N, vom 01.03.2011 betreffend eine Vorstellung der Klägerin am 08.02.2011 wurde ausgeführt, die Klägerin habe sich am 07.02.2011 an einer benutzten Kanüle gestochen. Er diagnostizierte einen schnellenden Daumen rechts sowie den Verdacht auf Phlegmone bei Panaritium (Nagelgeschwür) der rechten Hand. Am 09.02.2011 wurde die Klägerin in der Q-Klinik N durch PD Dr. H operiert. Es erfolgte eine operative Revision der Beugesehnenscheide mit Ringbandspaltung, es habe sich nur klare Flüssigkeit entleert, ein Bakteriennachweis konnte nicht erbracht werden. Weitere Revisionsoperationen erfolgten am 15.02.2011 und 21.02.2011. Es fanden sich jeweils kein Eiter sowie kein laborchemisches und bakteriologisches Korrelat. Die Klägerin wurde am 25.02.2011 aus der stationären Behandlung entlassen.

Am 10.03.2011 diagnostizierte der Neurologe und Psychiater Dr. L aus S bei der Klägerin ein CRPS. Die Klägerin stellte sich am 15.03.2011 in der Abteilung für Schmerztherapie des C C, Prof. Dr. N, vor. Dieser diagnostizierte den Verdacht auf ein CRPS Typ 1. Vom 16.03.2011 bis 21.04.2011 sowie vom 27.04.2011 bis 17.05.2011 befand sich die Klägerin dort in stationärer Behandlung unter den Diagnosen CRPS Typ 1 nach Stichverletzung im Bereich der rechten Hohlhand, Aufrechterhaltung bzw. Aggravation körperlicher Symptome aus psychischen Gründen auf dem Boden einer emotional instabilen Persönlichkeitsstruktur (vom Borderline-Typ). In dem stationären Entlassungsbericht vom 23.05.2011 wurde u.a. ausgeführt, angesichts einer von der Klägerin berichteten Anamnese mit sechsjähriger fortlaufender psychoanalytischer Behandlung ergäben sich Hinweise auf unfallunabhängige psycho-soziale Belastungsfaktoren sowie deutliche Hinweise auf eine emotional instabile Persönlichkeit. Die prognostische Relevanz dieser unfallunabhängigen Risikofaktoren bzw. Komorbiditäten habe im Rahmen des stationären Aufenthalts nicht ausreichend geklärt werden können. Bei sich abzeichnender Verkomplizierung des Heilverfahrens empfehle sich eine zeitnahe und ausführliche psychologisch-psychiatrische Untersuchung.

Eine erneute stationäre Behandlung erfolgte vom 03.06. bis 08.06.2011 im C C, Klinik für Plastische Chirurgie, Prof. Dr. T. Dieser diagnostizierte ein Panaritium (Nagelgeschwür) D III rechte Hand mit ausgeprägter Begleitphlegmone des Fingers und der dorsalen Hand. Die Klägerin habe über einen Insektenstich in den Mittelfinger vor 2 1/2 Tagen berichtet. Es erfolgten ein Debridement und eine Nagelkeilexzision.

Die Beklagte zog eine Auskunft der Krankenkasse (TKK) sowie weitere Arztberichte betreffend die Klägerin - auch bezogen auf den Zeitraum vor dem streitigen Unfallereignis - bei. Der Orthopäde Dr. Q, N, berichtete am 28.01.2011: "Hat den Daumen entzündet", am 03.02.2011: "weiterhin heftige Schmerzen, Unfall negativ" und am 08.02.2011: "Schmerzen weiterhin vorhanden". Ausweislich eines verkehrsmedizinischen Gutachtens des Orthopäden Dr. U vom 02.02.2012, erstattet nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 23.12.2011 zu der Frage, ob die Klägerin trotz einer Gesundheitsstörung oder Krankheit in...

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