Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Beitragsrecht. rückwirkende Aufhebung eines Beitragsbescheids zu Ungunsten des Beitragspflichtigen. Ermessensentscheidung. keine Heilung durch Nachschieben von Ermessenerwägungen während des sozialgerichtlichen Verfahrens
Orientierungssatz
1. Die rückwirkende Aufhebung eines bestandskräftigen Beitragsbescheides zu Ungunsten des Beitragspflichtigen nach § 168 Abs 2 SGB 7 bedarf einer Ermessensentscheidung.
2. Ein Ermessensnichtgebrauch kann nicht durch Ermessenserwägungen geheilt werden, die während des sozialgerichtlichen Verfahrens mit Schriftsatz nachgeschoben werden.
3. § 41 Abs 2 SGB 10 erlaubt der Behörde allenfalls, die Ermessenserwägungen nachträglich mitzuteilen, die sie bei Erlass des Verwaltungsaktes tatsächlich angestellt, aber (irrtümlich oder nachlässigerweise) nicht in die Begründung des Bescheides aufgenommen hat.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Neufeststellungsbescheide für die Beitragsjahre 1999 bis 2002 rechtmäßig sind.
Die Klägerin ist Mitglied der Beklagten und betreibt in ... die Hotels ... und .... Beide Hotels verfügen über eine Rezeption, die durch eine separate Empfangstheke vom übrigen Hotelbereich räumlich getrennt ist. Die Empfangsbereiche sind mit Telefon, Fax, PC und Rechenmaschinen ausgestattet.
Um die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung ab dem 01. Januar 1999 zu berechnen, beschloss die Vertreterversammlung der Beklagten im Juni 1998 einen neuen Gefahrtarif (GT 1999), den das Bundesversicherungsamt im August 1998 genehmigte. Der GT 1999 listet in seinem Teil I die Gewerbezweige auf, für die die Beklagte sachlich zuständig ist, und ordnet sie einer bestimmten Gefahrtarifstelle zu. Die Gefahrtarifstellen sind in bestimmte Gefahrklassen unterteilt, die das Gefährdungsrisiko der jeweiligen Gefahrengemeinschaft widerspiegeln. Für Hotels sieht der GT 1999 folgende Gefahrtarifstellen vor:
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Gefahrtarifstelle |
Gewerbezweige |
Gefahrklasse |
04 |
"Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe; auch Hotels, Bars, Cafes, Milch-, Saftbars, Kantinen, Imbißstuben, Imbißstände, Imbißwagen und Verzehrstände, Küchenbetriebe (auch Großküchen), Hähnchenbratereien, Wurstbratereien..." |
4,5 |
33 |
"Büro/Verwaltung Kaufmännischer und verwaltender Teil der Unternehmen (kaufmännische oder verwaltende Tätigkeiten im Bürobereich des Unternehmens) Diese Tarifstelle wird grundsätzlich in die Veranlagung eines Unternehmens aufgenommen " |
1,0 |
Ergänzende bzw. "sonstige Bestimmungen" enthält Teil II des GT 1999: Nach Ziffer 1 Buchstabe b) umfassen die festgesetzten Gefahrklassen alle Tätigkeiten für ein Unternehmen, also auch Vorbereitungs-, Fertigstellungs- und Abwicklungsarbeiten sowie Tätigkeiten in Hilfsunternehmen. Hierzu zählen u. A. auch Wächter- und Pförtnerarbeiten. Abweichend von Buchstabe b werden die kaufmännischen oder verwaltenden Tätigkeiten im Bürobereich des Unternehmens nach Gefahrtarifstelle 33 veranlagt (Ziffer 1 Buchstabe c, 1. Satz). Das Arbeitsentgelt und die Arbeitsstunden von Personen, die neben den kaufmännischen und verwaltenden Tätigkeiten im Bürobereich des Unternehmens auch Tätigkeiten in anderen Unternehmensbereichen verrichten, sind im Lohn- und Beschäftigungsnachweis entsprechend dem Arbeitsaufwand auf die einzelnen Bereiche aufzuteilen (Ziffer 1 Buchstabe c, Satz 2).
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 10. August 1999 veranlagte die Beklagte das Unternehmen der Klägerin ab dem 01. Januar 1999 zu den Gefahrtarifstellen 04 und 33. In den Lohnnachweisen für die Beitragsjahre 1999 bis 2002 ordnete die Klägerin ihre Rezeptionisten der Gefahrtarifstelle 33 zu. Auf dieser Grundlage setzte die Beklagte die Umlage - jeweils für die Vorjahre - mit Beitragsbescheiden vom 05. April 2000, 05. April 2001, 11. April 2002 und 03. April 2003 fest.
Bei der Betriebsprüfung am 30. Januar 2003 wies der Betriebsprüfer den Geschäftsführer der Klägerin darauf hin, dass alle Hotelmitarbeiter inkl. der Rezeptionisten mit Ausnahme einer Personalsachbearbeiterin in die Gefahrtarifstelle 04 mit der Gefahrklasse 4,5 umzugruppieren seien und errechnete eine Nachforderung in Höhe von insgesamt 5.017,51 €, Hierauf gestützt erließ die Beklagte am 11. April 2003 für die Beitragsjahre 1999 bis 2002 vier Beitragsberichtigungsbescheide, die keine Ermessenserwägungen enthalten.
Dagegen erhob die Klägerin am 14, Mai 2003 Widerspruch und machte geltend, dass das Rezeptionspersonal Gäste empfange, Anmeldeformalitäten erledige, Zimmer verteile, Zimmerschlüssel ausgebe und ggf. Abrechnungen erstelle. Diese reinen Büro- und Verwaltungstätigkeiten seien der Gefahrtarifstelle 33 zuzuordnen. Mit Widerspruchsbescheid vom 05. April 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, ohne Ermessen auszuüben: Das Empfangspersonal verrichte (gewerbe)spezifische Hotellertätigkeiten und keine allgemeinen Büroarbeiten, wie sie in allen (Mitglieds-) Unternehmen anfielen. In die Gefahrtarifstelle 33 mit dem Tätigkeitsbereich "Büro/Verwaltung" seien daher nur Personalsachb...