Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Rechtmäßigkeit eines Eingliederungsverwaltungsaktes des Grundsicherungsträgers - Ausübung von Ermessen
Orientierungssatz
1. Die Voraussetzungen für den Erlass des eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsaktes nach § 15 Abs. 3 S. 3 SGB 2 sind u. a. gegeben, wenn der Betroffene die Eingliederungsvereinbarung nicht unterschrieben hat.
2. Hat der Leistungsträger bei Erlass des Eingliederungsverwaltungsaktes das ihm eingeräumte Ermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt, so ist der ergangene ablehnende Bescheid nach § 54 Abs. 2 S. 2 SGG rechtswidrig.
3. U. a. müssen die wechselseitigen Leistungen und Verpflichtungen konkret benannt und begründet werden. Ist eine Auseinandersetzung dazu nicht erkennbar, so ist der ergangene ablehnende Bescheid rechtswidrig und aufzuheben.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 16.3.2021 geändert und der Eingliederungsverwaltungsakt vom 5.10.2020 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 19.11.2020 aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit des Eingliederungsverwaltungsaktes vom 5.10.2020.
Der 0000 geborene Kläger bezieht laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Zuletzt schloss er mit dem Beklagten unter dem 15.10.2019 eine bis "auf weiteres" gültige Eingliederungsvereinbarung, in der er sich verpflichtete, im Hinblick auf die gesundheitliche Situation seiner Lebensgefährtin zu klären, ob er dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht oder die Betreuung des gemeinsamen Kindes übernehmen muss, und ggf. bis zum 5.11.2019 eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen. Nach Ziffer 6 der Vereinbarung sollte die Eingliederungsvereinbarung regelmäßig, spätestens jedoch nach Ablauf von 6 Monaten gemeinsam überprüft und bei Bedarf fortgeschrieben werden. Laut Ziffer 7 stand beiden Vertragsparteien bei einer wesentlichen Änderung der für den Abschluss des Vertrags maßgebenden Umstände das Recht zu, den Vertrag zu kündigen, wenn eine Anpassung des Inhalts nicht möglich oder zumutbar war.
Am 5.10.2020 fand ein persönliches Beratungsgespräch statt. Im Rahmen dieses Gesprächs teilte der Kläger laut Aktenvermerk mit, er werde einen Nachweis, dass seine Lebensgefährtin aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sei, die Kinder zu betreuen, nicht einreichen. Er plane, sich als Online-Händler über die Plattform Amazon selbständig zu machen und chinesische Produkte zu vertreiben. Dies könne er wegen der Zeitverschiebung gut in der Nacht machen und am Tag seine Lebensgefährtin bei der Betreuung der Kinder unterstützen. Welche Produkte er vertreiben wolle und auf der Grundlage welches Geschäftsmodells, konnte er auf Nachfrage nicht angeben. Dem Kläger wurde eine Checkliste für Existenzgründer zur Analyse der Geschäftsidee ausgehändigt und besprochen, dass er diese bis zum 2.11.2020 ausgefüllt wieder einreichen müsse, damit ein Analysegespräch und eine Beratung zum weiteren Vorgehen erfolgen könne. Für den Fall, dass die Checkliste am 2.11.2020 nicht vorliege oder die Geschäftsidee sich als nicht tragfähig erweise, werde der Fokus auf die Eingliederung in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gelegt. Der Kläger erhalte dann Vermittlungsvorschläge und müsse bis zum 2.12.2020 Eigenbemühungen nachweisen. Diese Vereinbarungen wurden in eine neue Eingliederungsvereinbarung aufgenommen, die der Kläger jedoch nicht unterschrieb. Er verlange, dass konkrete, diverse Fördermöglichkeiten für seine geplante Existenzgründung aufgenommen würden und dies direkt und nicht erst nach Einreichen der Checkliste. Der Beklagte informierte den Kläger, dass die Eingliederungsvereinbarung als Verwaltungsakt mit gleichem Inhalt erlassen werde.
Mit Schreiben vom 5.10.2020 kündigte der Beklagte die Eingliederungsvereinbarung vom 15.10.2019 mit Wirkung zum 5.10.2020. Es werde eine neue Eingliederungsvereinbarung geschlossen. Mit weiterem Schreiben vom 5.10.2020 kündigte der Beklagte "die am 5.10.2020 (...) geschlossene Eingliederungsvereinbarung mit Wirkung zum 5.10.2020" mit dem Zusatz: "Sie möchten die Eingliederungsvereinbarung heute nicht unterschreiben. Es wird ein Verwaltungsakt erlassen.".
Ebenfalls unter dem 5.10.2020 erließ der Beklagte unter der Überschrift "Eingliederungsvereinbarung nach § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II - Ersatz der Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt" den streitgegenständlichen Eingliederungsverwaltungsakt. Als Geltungszeitraum wird "gültig von: 05.10.2020" und "gültig bis: auf weiteres" angegeben. Unter Ziffer 1 heißt es: "(...) Aus folgendem Grund wird ein Verwaltungsakt erlassen: Der Erlass eines ersetzenden Verwaltungsaktes ist erforderlich, da eine Verständigung gescheitert ist, die Inhalte des Verwaltungsaktes aber für die Integration der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person notwendig sind." Unter Ziffer 2 folgt: "Nach § 32 Abs. 2 SGB X kann ...