Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Gesundheitshilfe. Ausschluss der Kostenübernahme für empfängnisverhütende Mittel bei über 20Jährigen. Verfassungsmäßigkeit. Eingliederungshilfe. Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. selbstbestimmtes Sexualleben. 3-Monats-Spritze vom Regelbedarf umfasst
Leitsatz (amtlich)
1. Kosten für ein empfängnisverhütendes Mittel können für Frauen nach Vollendung des 20. Lebensjahres auch im Sozialhilferecht entsprechend den Regelungen in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht übernommen werden.
2. Im Rahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen kann nur der Kostenanteil beansprucht werden, der durch einen behinderungsspezifischen Mehrbedarf verursacht wird.
Orientierungssatz
Eine Verletzung des Art 3 Abs 1 bzw Abs 3 GG liegt nicht vor.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 09.08.2008 abgeändert und die Klage abgewiesen.
Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Kosten für das Empfängnisverhütungsmittel "Noristerat" (sog. "3-Monats-Spritze"), welches die Klägerin zwischen dem 08.03.2007 und dem 13.03.2008 fünfmal zu je 25,24 Euro erworben hat (insgesamt 126,20 Euro), zu übernehmen.
Bei der am 00.00.1966 geborenen Klägerin besteht eine geistige Behinderung mit Aphasie bei Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma. Im Hinblick darauf ist bereits seit längerer Zeit eine Betreuung eingerichtet, die sich auf dem Bereich der Gesundheitsfürsorge, der Aufenthaltsbestimmung, Vermögensangelegenheiten, die Geltendmachung von Ansprüchen auf Rente und Sozialhilfe sowie von Beträgen aus der Pflegeversicherung erstreckt. Im Bereich der Vermögensangelegenheiten bedürfen Willenserklärungen der Klägerin der Einwilligung der Betreuerin. Die Klägerin ist Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung und erhält laufend Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XII). Sie übt eine Tätigkeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen aus und wohnt gemeinsam mit ihrer Mutter und weiteren Familienangehörigen in einer Haushaltsgemeinschaft. Dazu gehört auch der inzwischen 15-jährige Sohn der Klägerin, der von ihrer Mutter erzogen wird. Ein Lebenspartner der Klägerin wohnt nicht im Haushalt.
Im Juni und September 2006 erwarb sie auf entsprechende privatärztliche Verordnungen ihres behandelnden Gynäkologen Herrn I vom 13.06.2006 und 12.09.2006 zur Empfängnisverhütung je eine Ampulle Noristerat (3-Monats-Spritze) zu einem Preis von jeweils 24,60 Euro. Anschließend beantragte die gesetzliche Vertreterin der Klägerin unter Vorlage der beiden Verordnungen und einer Notwendigkeitsbescheinigung des Herrn I mit Schreiben vom 20.09.2006 bei der Beklagten die Kostenübernahme für die 3-Monats-Spritze im Rahmen der Eingliederungshilfe. Unter dem 25.09.2006 bat die Beklagte die gesetzliche Vertreterin der Klägerin telefonisch, einen Antrag zunächst bei deren Krankenkasse zu stellen und den Bescheid dann hier vorzulegen. Den daraufhin bei der AOK Rheinland/Hamburg gestellten Kostenübernahmeantrag lehnte diese mit Bescheid vom 06.10.2006 ab, weil eine Kostenübernahme gemäß § 24 a Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ausscheide, was die gesetzliche Vertreterin der Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 09.10.2006 mitteilte.
Mit Bescheid vom 20.10.2006 lehnte alsdann die Beklagte den Kostenübernahmeantrag der Klägerin vom 20.09.2006 ab. Zur Begründung führte sie aus, das neue Sozialhilferecht enthalte keine Regelung mehr, nach der die Übernahme der Kosten empfängnisverhütender Mittel möglich wäre. Auch nach dem SGB XII könnten inzwischen nur noch Leistungen entsprechend dem Umfang des Leistungskataloges des SGB V erbracht werden. Nach diesen Regelungen bestehe aber für die Klägerin kein Leistungsanspruch. Auch stellten empfängnisverhütende Mittel keine Leistungen der Eingliederungshilfe dar, so dass sie darauf verwiesen werden müsse, die Kosten aus der Regelleistung zu bestreiten.
Mit ihrem dagegen am 06.11.2006 eingelegten Widerspruch vertrat die Klägerin die Auffassung, nach § 49 SGB XII sei ein Leistungsanspruch allein vom Vorliegen einer ärztlichen Verordnung abhängig. Eine solche liege hier vor. Außerdem sei es auch in wirtschaftlicher Hinsicht absurd, dass zwar ein Schwangerschaftsabbruch oder die Versorgung möglicherweise von der Klägerin zur Welt gebrachter Kinder in Pflegefamilien finanziert werde, nicht aber die präventive Empfängnisverhütung.
Die Widerspruchsbehörde wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.03.2007 zurück. Sie führte ergänzend aus, nach § 24 a Abs. 2 SGB V bestehe ein Anspruch auf Versorgung mit empfängnisverhütenden Mitteln als Kassenleistung grundsätzlich nur bis zur Vollendung des 20. Lebensjahres. Gemäß § 52 Abs. 1 SGB XII entsprächen die Leistungen nach den §§ 47-51 SGB XII dem Leistungskatalog d...