Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlichkeitsprüfung. Überschreitung des Richtgrößenvolumens. Beratung vor Regress. Rückwirkung auf abgeschlossene Prüfzeiträume bzw beendete Verwaltungsverfahren. Darlegungslast für Praxisbesonderheiten
Orientierungssatz
1. Die Neufassung des § 106 Abs 5e S 7 SGB 5 gilt nur für Verfahren, in denen das Widerspruchsverfahren zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Regelung durch Verkündung im Bundesgesetzblatt am 26.10.2012 noch nicht abgeschlossen war. § 106 Abs 5e S 1 und 2 SGB 5 wirkt mittels S 7 nicht auf abgeschlossene Prüfzeiträume bzw beendete Verwaltungsverfahren zurück.
2. Die Festsetzung eines Regresses ist nicht davon abhängig, dass die Prüfgremien den regressierten Vertragsarzt zuvor über die Unwirtschaftlichkeit seiner Verordnungsweise beraten (vgl BSG vom 15.8.2012 - B 6 KA 45/11 R = SozR 4-2500 § 106 Nr 36).
3. Praxisbesonderheiten sind aus der Zusammensetzung der Patienten herrührende Umstände, die sich auf das Behandlungsverhalten des Arztes auswirken und in den Praxen der Vergleichsgruppe nicht in entsprechender Weise anzutreffen sind (vgl BSG vom 21.6.1995 - 6 RKa 35/94 = SozR 3-2500 § 106 Nr 27). Die betroffene Praxis muss sich nach der Zusammensetzung der Patienten und hinsichtlich der schwerpunktmäßig zu behandelnden Gesundheitsstörungen vom typischen Zuschnitt einer Praxis der Vergleichsgruppe unterscheiden (vgl BSG vom 6.9.2000 - B 6 KA 24/99 R = SozR 3-2500 § 106 Nr 50). Dabei ist es grundsätzlich Sache des geprüften Arztes, Praxisbesonderheiten darzulegen und nachzuweisen; ihn trifft die Darlegungslast (vgl BSG vom 11.12.2002 - B 6 KA 1/02 R = SozR 3-2500 § 106 Nr 57).
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 03.04.2013 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten für das Klage- und Berufungsverfahren trägt der Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Regresses wegen Überschreitung der Arzneimittel-Richtgrößen im Jahre 2009.
Der Kläger ist als hausärztlich tätiger Facharzt für Innere Medizin in U zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.
Mit Bescheid vom 16.11.2011 setzte die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen Nordrhein für die Quartale I/2009 bis IV/2009 wegen Überschreitung der Arzneimittel-Richtgrößen einen Regress in Höhe von 19.596,24 EUR fest. Mit seinem Widerspruch vom 02.12.2011 machte der Kläger geltend, dass insbesondere Praxisbesonderheiten nicht hinreichend berücksichtigt worden seien. Solche lägen namentlich in dem gastroenterologischen Schwerpunkt seiner Praxis, in der Behandlung psychosomatischer Patienten, in der Behandlung von Patienten, die lipidsenkender Mittel bedürften und in der Betreuung von Patienten mit dem sog. "metabolischen Syndrom". Seine Patientenstruktur und sein Verordnungsverhalten seien seit Jahren unverändert. Für das Jahr 2006 habe der beklagte Beschwerdeausschuss diese Praxisbesonderheiten anerkannt und den Regress im Rahmen eines Vergleiches aufgehoben. Für das Jahr 2007 seien keine Maßnahmen beschlossen worden. Es sei sachgerecht, auch für das Jahr 2009 in entsprechender Weise zu verfahren. Mit Bescheid vom 10.05.2012 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Ausgehend von Arzneiverordnungskosten in Höhe von 587.113,57 EUR zog er Verordnungskosten für Praxisbesonderheiten, für Nichtarzneimittel sowie weitere nicht aufgeklärte Verordnungen in Höhe von insgesamt 45.661,07 EUR ab. Weitere Praxisbesonderheiten erkannte er nicht an. Bei verbliebenen Arzneikosten von 539.811,03 EUR ergab sich eine Abweichung gegenüber der Richtgrößensumme von 30,9 v.H. Den über eine 25 %-ige Überschreitung der Richtgrößensumme hinausgehenden Betrag regressierte der Beklagte, wobei er den Apothekenrabatt und die Patientenzuzahlungen durch Ansatz des günstigsten Nettokostenindexes von 80,59 v.H. berücksichtigte. Es ergab sich damit ein Regressbetrag von netto 19.596,24 EUR.
Mit seiner am 21.05.2012 erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er hat sein Vorbringen aus dem Vorverfahren wiederholt und vertieft. Unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 19.02.2013 - L 5 KA 222/13 ER-B - hat er die Auffassung vertreten, dass für einen Regress kein Raum sei, da er nach der zum 01.01.2012 eingeführten Regel "Beratung vor Regress" zunächst hätte individuell beraten werden müssen.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 10.05.2012 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, über seinen Widerspruch gegen den Bescheid der Prüfungsstelle vom 16.11.2011 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Grundsatz "Beratung vor Regress" greife bereits deshalb nicht, weil er nur bei einer "erstmaligen" Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 v.H. Anwendung finde. Bereits 2006 habe aber ein Prüfverfahren ...