Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit des Regelbedarfs im Recht der Grundsicherung
Orientierungssatz
1. Als Regelbedarf wird bei alleinstehenden Personen nach § 20 Abs. 2 S. 1 SGB 2 monatlich ein Betrag in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 anerkannt.
2. Bei der Ermittlung der bundesdurchschnittlichen Regelbedarfsstufen nach § 27a Abs. 2 SGB 12 sind Stand und Entwicklung von Nettoeinkommen, Verbraucherverhalten und Lebenshaltungskosten zu berücksichtigen, § 28 Abs. 2 S. 1 SGB 12.
3. Die Ermittlung der Regelbedarfe wird den Anforderungen aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gerecht (BVerfG Beschluss vom 23. 7. 2014, 1 BvL 10/12).
4. Die Entscheidung, bestimmte Ausgaben nicht als regelbedarfsrelevant anzuerkennen, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Ein Kraftfahrzeug ist im Grundsicherungsrecht nicht als existenznotwendig zu berücksichtigen.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 29.11.2019 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in Form eines höheren monatlichen Regelbedarfs für die Zeit vom 01.11.2016 bis 31.10.2017.
Mit Bescheid vom 04.10.2016 bewilligte die Beklagte dem Kläger SGB II-Leistungen für die Zeit vom 01.11.2016 bis 31.10.2017 in Höhe von monatlich 713,29 EUR. Der monatliche Gesamtbetrag setzte sich wie folgt zusammen: Regelbedarf 404 EUR, Mehrbedarf Warmwasserbereitung 9,29 EUR, Mietanteil 220 EUR, Nebenkostenanteil 30 EUR und Heizkostenanteil 50 EUR.
Hiergegen erhob der Kläger am 16.10.2016 Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, die Erhöhung der Regelsätze für die Zeit ab dem 01.01.2016 sei nicht verfassungskonform. In die Berechnung hätte die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) aus 2013 einfließen müssen, die am 10.09.2015 veröffentlicht worden sei. Die gesetzlichen Vorschriften würden zwingend vorschreiben, dass bei Vorliegen einer neuen EVS die Regelsätze in einem Bundesgesetz neu zu definieren seien. Dies habe der Gesetzgeber unterlassen. Die Höhe der Regelsätze sei nicht neu ermittelt, sondern nur fortgeschrieben worden. Unter Berücksichtigung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) seien die Regelsätze an die EVS 2013 anzupassen.
Mit Bescheid vom 27.12.2016 hob die Beklagte den Bescheid vom 04.10.2016 teilweise auf und bewilligte für die Zeit vom 01.01.2017 bis 31.10.2017 SGB II-Leistungen in Höhe von monatlich 718,41 EUR. Hierbei berücksichtigte die Beklagte nunmehr einen monatlichen Regelbedarf von 409 EUR und einen monatlichen Mehrbedarf Warmwasserbereitung von 9,41 EUR.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.08.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Einwand des Klägers zur Verfassungswidrigkeit des Regelbedarfes ab dem 01.01.2016 könne im Widerspruchsverfahren nicht berücksichtigt werden. Die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit gesetzlicher Normen bleibe dem Normenkontrollverfahren vorbehalten. Das BVerfG habe festgestellt, dass die Vorschriften über die Festsetzung der Höhe des Regelbedarfs sowie deren Fortschreibung mit dem Grundgesetz vereinbar seien. Im Übrigen habe das Sozialgericht Münster in einem Urteil vom 14.07.2017 darauf hingewiesen, dass die Argumente des Klägers in verschiedensten anderen Klageverfahren vorgetragen und gerichtlicherseits nicht nur im Land Nordrhein-Westfalen überprüft worden seien. Ein höherer Leistungsanspruch sei nicht zu rechtfertigen.
Am 18.09.2017 hat der Kläger hiergegen Klage vor dem Sozialgericht Münster erhoben.
Im Klageverfahren hat der Kläger umfangreich vorgetragen. Der gesetzliche Leistungsanspruch müsse den gesamten existenznotwendigen Bedarf decken. Die Regelbedarfe seien fortwährend zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Auf Änderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wie auf Preissteigerungen oder auf die Erhöhung von Verbrauchssteuern müsse zeitnah reagiert werden, um eine aktuelle Bedarfsdeckung sicherzustellen. Das BVerfG habe den Gesetzgeber in seinem Beschluss vom 23.07.2014 verpflichtet, die Entwicklung der Strompreise zeitnah abzubilden und den Stromkostenanteil in den Regelbedarfen ggf. zu erhöhen. Seit 2008 seien die Strompreise um fast 40% gestiegen, die Erhöhung des Regelbedarfes und damit auch des darin enthaltenen Stromkostenanteils bleibe weit dahinter zurück. Dies führe zu einer permanenten Bedarfsunterdeckung. Spätestens nach dem Beschluss des BVerfG vom 23.07.2014 hätte der Gesetzgeber tätig werden müssen. Passiert sei aber auch mehr als drei Jahre später noch immer nichts. Angesichts der deutlichen Strompreiserhöhungen sei auch der Mehrbedarf für die dezentrale Warmwasserversorgung erkennbar zu niedrig bemessen. Dieser müsse etwa doppelt so hoch sein, um annähe...