Entscheidungsstichwort (Thema)
Kinder- und Jugendhilfe. Eingliederungshilfe wegen seelischer Behinderung. Hilfe für junge Volljährige. Prognose zur Dauer der Hilfegewährung. bei prognostizierter Maßnahmedauer weit über die Vollendung des 21. Lebensjahres hinaus Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers
Leitsatz (amtlich)
Ist bei Beginn der Eingliederungsmaßnahme zugunsten eines bereits 20-jährigen Hilfebedürftigen prognostisch damit zu rechnen, dass die Maßnahme deutlich über die Vollendung des 21. Lebensjahres hinaus oder gar dauerhaft fortzuführen sein wird, so handelt es sich mangels eines "begrenzten Zeitraumes" iS von § 41 Abs 1 S 2 SGB 8 nicht um eine jugendhilferechtliche Maßnahme nach §§ 41, 35a SGB 8. Vielmehr ist der Sozialhilfeträger nach § 10 Abs 4 S 2 SGB 8 leistungszuständig.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 29.09.2010 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens; hinsichtlich der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens verbleibt es bei der Entscheidung des Sozialgerichts.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 203.403,33 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger begehrt als überörtlicher Träger der Sozialhilfe von der Beklagten, einer Trägerin der Jugendhilfe, die Erstattung von ihm erbrachter Leistungen für eine stationäre Unterbringung des Beigeladenen in der Zeit vom 08.03.2007 bis zum 31.05.2010.
Der am 00.00.1986 geborene Beigeladene ging als zweites von zwei Kindern aus der zwischenzeitlich geschiedenen Ehe des 1958 geborenen I H und der 1959 geborenen S T hervor. Er besuchte zunächst eine (Regel-) Grundschule, wechselte im Alter von zehn Jahren jedoch auf die Sonderschule. Nach Trennung der Eltern (2003) lebte er zunächst bei seinem Vater. In dieser Zeit holte er auch den Hauptschulabschluss nach. Anschließend zog er zu seiner Mutter, die im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten wohnt. Da seine Lehrer den erfolgreichen Abschluss einer Lehre nur mit Unterstützung eines Jugenddorfes für möglich hielten, wurde der Beigeladene anschließend in dem CJD-Berufsbildungswerk G internatsmäßig untergebracht, wo er im August 2005 eine Tischlerlehre begann. Die Lehre musste er jedoch im Januar 2006 wegen disziplinarischer Probleme (Gewalttätigkeiten) und Drogenkonsums abbrechen. Kostenträger für diese Maßnahme war die Agentur für Arbeit E.
Im Zusammenhang mit dem Abbruch der Lehre wollte sich der Beigeladene mit einem Gürtel in seinem Zimmer erhängen; sein Bezugsbetreuer konnte ihn jedoch davon abbringen. Der Beigeladene begab sich anschließend freiwillig ab dem 15.01.2006 erstmals zur stationären Behandlung in die Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Rheinische Kliniken E (RKE), deren Träger der Kläger ist. Vor diesem Hintergrund wurde für ihn eine gesetzliche Betreuung eingerichtet mit den Aufgabenkreisen Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung, vermögensrechtliche Angelegenheiten, Vertretung gegenüber Behörden und berufliche Angelegenheiten (Beschluss des Amtsgerichts (AG) E vom 10.03.2006 - 00 XVII 00/06). Während des Klinikaufenthalts wurden beim Beigeladenen eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typus, ein Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) sowie eine leichtgradige intellektuelle Minderbegabung diagnostiziert. Im Vordergrund der Erkrankung stehe die Persönlichkeitsstörung sowie das ADHS, nicht jedoch ein Suchtproblem. Unter psychopharmakologischer Behandlung, flankierenden therapeutischen Aktivitäten sowie stützenden Einzelgesprächen sei es zu einer Stabilisierung des psychopathologischen Befundes gekommen. Im Frühjahr 2006 wurde eine Fortsetzung der stationären Krankenhausbehandlung daher nicht mehr für erforderlich gehalten. Allerdings kamen die Ärzte der RKE in einem Attest vom 13.02.2006 zu der Einschätzung, der Beigeladene sei aufgrund seiner krankheitsbedingt eingeschränkten Belastbarkeit, eingeschränkter Urteilsfähigkeit sowie verminderter Befähigung zu zielgerichtetem Handeln nicht zu einem eigenständigen Leben, etwa in einer eigenen Wohnung, in der Lage; sie hielten die Unterbringung in einer stationären Dauereinrichtung in einem engen tagesstrukturierenden Rahmen für dringend geboten.
Es wurde daher in Aussicht genommen, den Beigeladenen in einer Einrichtung des Paritätischen Alten-, Behinderten- und Kinderhilfswerks e.V. (ABK) aufzunehmen. Der ABK unterhält mehrere Einrichtungen (insbesondere Wohnheime und Werkstätten) mit differenzierter Ausrichtung. Er versteht sich ausweislich seiner Leistungsbeschreibung (auf die wegen der Einzelheiten auf Bl. 47-105 des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen wird) als sozio-therapeutische Übergangseinrichtung mit mehrjähriger, jedoch grundsätzlich begrenzter Aufenthaltsdauer, welche weitestgehend von der individuellen positiven Entwicklung des Bewohners abhängt. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer liegt...