Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. keine Kostenübernahme für einen behindertengerechten Umbau eines Pkws mit Schwenk-Hubsitz. unbestimmter Rechtsbegriff "angewiesen sein" iS des § 9 Abs 2 Nr 11 SGB12§60V. Nachrangigkeit. Bedarfsdeckung. Selbsthilfe
Orientierungssatz
1. Ein Hilfebedürftiger hat keinen Anspruch auf einen behindertengerechten Umbau eines Pkw mit Schwenk-Hubsitz als Eingliederungshilfe gem §§ 39, 40 Abs 1 Nr 2 BSHG iVm § 9 Abs 2 Nr 11 BSHG§47V bzw §§ 53, 54 Abs 1 SGB 12 iVm § 55 SGB 9 iVm § 9 Abs 2 Nr 11 SGB12§60V, wenn er nicht auf diesen Pkw iS des § 9 Abs 2 Nr 11 SGB12§60V angewiesen ist.
2. Zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs "angewiesen sein" iS des § 9 Abs 2 Nr 11 SGB12§60V.
3. Die Regelung des § 54 SGB 12 iVm § 26 SGB 9 kann im Hinblick auf den Nachrang der Sozialhilfe (§ 2 BSHG bzw § 2 SGB 12) nur dann zur Anwendung gelangen, wenn nicht ohnehin die gegenüber der Eingliederungshilfe vorrangig zu gewährenden Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zum Tragen kommen.
4. Eine Bedarfsdeckung im Wege der Selbsthilfe oder Hilfe Dritter (§ 2 Abs 1 BSHG), die vor dem Zeitpunkt des § 5 BSHG stattgefunden hat, schließt den Sozialhilfeanspruch aus (vgl BVerwG vom 23.6.1994 - 5 C 26/92 = BVerwGE 96, 152).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin vom Beklagten die Übernahme der Kosten für den behindertengerechten Umbau eines Pkw als Eingliederungshilfe nach dem 6. Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch - Sozialhilfe beanspruchen kann.
Die 1984 geborene Klägerin ist infolge eines 1996 erlittenen hyperosmolaren Komas (diabetisches Koma) schwergradig körperlich behindert. Sie ist blind, schwerhörig und teilweise gelähmt. Das seinerzeit zuständige Versorgungsamt hat ihr (auf Dauer) einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 zuerkannt. Darüber hinaus liegen die Voraussetzungen für die Nachteilsausgleiche "Erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr" ("G"), "Außergewöhnliche Gehbehinderungen" ("aG") und "Hilflosigkeit" ("H"), Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht ("RF") und "Blind" ("Bl.") vor. Die Klägerin erhält Leistungen der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III. Sie ist sowohl gesetzlich als auch privat in vollem Umfang krankenversichert. Sie arbeitet in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Insoweit ist ein Fahrdienst eingerichtet. Die dadurch entstehenden Kosten trägt der Beklagte.
Seit Oktober 2006 lebt sie in einer eigenen Wohnung in Wohngemeinschaft. Zuvor hatte sie im Hause der Eltern eine Mietwohnung angemietet. Die Klägerin erhält vom Beklagten nach dem Gesetz über Hilfen für Blinde und Gehörlose wegen des gleichzeitigen Bezuges von Hilfen zur häuslichen Pflege gekürztes Blindengeld (im Jahr 2004 in Höhe von 441,50 EUR monatlich). Zudem erhielt sie im Zeitraum 23.09.2003 bis zum 22.09.2004 von der Bundesanstalt für Arbeit ein Ausbildungsgeld in Höhe von 67,00 EUR monatlich. Am 01.01.2004 verfügte sie nach eigenen Angaben über ein Vermögen in Höhe von 44.450,00 EUR (35.078,00 EUR Girokonto, 3.822,00 EUR Wertpapiere, 550,00 EUR Genossenschaftsanteil, PKW (Mercedes Vito) - geschätzt - 5.000,00 EUR (entspricht dem im Dezember 2002 an ihren Vater als Verkäufer des Fahrzeuges gezahlten Kaufpreis)).
Mit Schreiben vom 01.03.2004 (Eingang beim Kreis I am 22.03.2004) beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten für die Umrüstung eines neu angeschafften PKW. Ausweislich eines Kostenvoranschlages der Firma K wurden die Kosten des Umbaus mit voraussichtlich 7.934,76 EUR veranschlagt. Zur Begründung führte die Klägerin aus, dass ein neuer, größerer PKW angeschafft werden müsse, weil sie in den alten PKW (Mercedes Vito) infolge ihrer Größe und ihres Gewichtes von etwa 72 kg bei einer Körpergröße von 180 cm (ähnliche Werte gehen bereits aus älteren medizinischen Unterlagen hervor: 70kg/184cm am 19.02.2002, 71kg/180cm am 01.06.2001) nicht mehr hineingehoben werden könne. Der neue PKW werde ausschließlich für ihren Transport zu Therapeuten, Ärzten, Krankenhäusern und Veranstaltungen benötigt.
Mit Schreiben vom 25.03.2004 leitete der Kreis I den Antrag an den Beklagten weiter (Eingang am 26.03.2004). Mit Schreiben vom 01.04.2004 forderte der Beklagte die Klägerin auf, Angaben zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen zu machen. Dieser Aufforderung kam die Klägerin frühestens Ende April nach. Sie legte Kontoauszüge bis zum 22.04.2004 und eine Rechnung vom 26.04.2004 über den Kauf eines neuen PKW (Typ Volkswagen Shuttle T 5) zum Preis von 25.431,20 EUR vor. Der Ankauf eines neuen PKW war zumindest seit Ende 2003 geplant. Aus der von der Klägerin aufgestellten Vermögensaufstellung ergab sich ein Vermögen in Höhe von 46.508,21 EUR. Dieses setzte sich aus einem Guthaben auf dem Girokonto in Höhe von 24.362,17 EUR, einem Gut...