Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Erstattung ohne Rechtsgrund gezahlter Krankenhausvergütung. geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung nur bei Patienten ab Vollendung des 60. Lebensjahres. Kenntnis der Nichtschuld. Verwirkung
Orientierungssatz
1. Von einer geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung kann nur bei Patienten ab Vollendung des 60. Lebensjahres gesprochen werden (vgl BSG vom 23.6.2015 - B 1 KR 21/14 R = SozR 4-2500 § 109 Nr 46).
2. Zahlt eine Krankenkasse vorbehaltlos auf eine Krankenhausrechnung, kann sie deshalb mit der Rückforderung - und damit auch mit dem späteren Bestreiten ihrer Zahlungspflicht - ganz ausgeschlossen sein, wenn sie (positiv) gewusst hat, dass sie zur Leistung nicht verpflichtet war (vgl BSG vom 30.6.2009 - B 1 KR 24/08 R = BSGE 104, 15 = SozR 4-2500 § 109 Nr 17, RdNr 30; BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R = BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 47). Daran fehlt es im vorliegenden Fall, denn die Krankenkasse zahlte im Jahr 2012 nicht in Kenntnis ihrer Nichtschuld, da es zum Zeitpunkt der Rechnungslegung im Sommer 2012 keine gefestigte Rechtsprechung zur Auslegung des Begriffs "geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung" gab und das biologische Alter nicht erkennbar war.
3. Der bloße Zeitablauf und der Umstand, dass die Krankenkasse bis kurz vor Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist mit der Geltendmachung ihrer Forderung gewartet hat, genügt als ein Verwirkung begründendes Verhalten nicht.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 12.07.2017 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist ein im Rahmen der Widerklage geltend gemachter Erstattungsanspruch der Beklagten i.H.v. 4.520,93 EUR.
Die bei der Beklagten versicherte, am 00.00.1958 geborene L Q (fortan: Versicherte) wurde nach einem Sturz mit Femurfraktur vom 18.5. bis 13.6.2012 im Plankrankenhaus (§§ 107, 108 Nr. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V) der Klägerin stationär behandelt. Sie war zum Behandlungszeitpunkt 53 Jahre alt. Die von der Klägerin mit Rechnung vom 19.6.2012 auf Basis der DRG I34Z (Geriatrische, frührehabilitative Komplexbehandlung) unter Anwendung des OPS-Codes 8-550.1 (Geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung) in Rechnung gestellte Summe von 10.811,35 EUR beglich die Beklagte im Jahr 2012 vorbehaltlos.
Mit Schreiben vom 23.3.2016 teilte die Beklagte der Klägerin unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BSG vom 23.6.2015 (B 1 KR 21/14 R) mit, sie habe keine geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung abrechnen dürfen, da die Versicherte noch nicht 60 Jahre alt gewesen sei. Die Beklagte verrechnete den Rechnungsbetrag mit Zahlungsavis vom 31.3.2016 mit unstreitigen Forderungen der Klägerin und zahlte an die Klägerin entsprechen der DRG I08F (Andere Eingriffe an Hüftgelenk und Femur ohne komplexen Mehrfacheingriff, ohne sehr komplexe Diagnosen, ohne komplexen Eingriff, ohne äußerst schwere CC, ohne Osteotomie oder Muskel-/Gelenkplastik) 6.290,42 EUR.
Mit ihrer am 13.6.2016 erhobenen Klage hat die Klägerin die Zahlung von 4.520,93 EUR wegen Nichtzahlung stationärer Behandlungskosten begehrt. Die seitens der Beklagten erklärte Aufrechnung sei wegen des landesvertraglich vereinbarten Aufrechnungsverbots unwirksam. Das seitens der Beklagten zusammen mit ihrer Widerklage am 2.9.2016 erklärte Anerkenntnis hat die Klägerin angenommen.
Die Beklagte hat widerklagend vorgetragen, jederzeit die sachlich-rechnerische Richtigkeit einer Krankenhausabrechnung überprüfen zu können. Durch das nach der Behandlung der Versicherten ergangene Urteil des BSG vom 23.6.2015 (a.a.O.) liege ein Fall der sachlich-rechnerischen Unrichtigkeit vor. Vor der höchstrichterlichen Entscheidung sei entgegen der klägerischen Darstellung nicht auf das biologische Alter, sondern nach den "Abgrenzungskriterien Geriatrie Version I.3" aus den Jahren 2003 und 2004 und damit noch vor Einführung des OPS 8-550 auf das kalendarische Alter abgestellt worden. Ausschließlich in dem hier streitigen Fall habe die Klägerin für die Behandlung einer noch nicht mindestens 60-jährigen Versicherten die geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung abgerechnet; weitere Fälle seien zwischen ihnen nicht streitig.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klägerin und Widerbeklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 4.520,93 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung des Widerklageantrags zu zahlen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, die Beklagte könne sich wegen des Grundsatzes von Treu und Glauben nach § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und wegen Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) nicht rückwirkend auf das Urteil vom 23.6.2015 stützen. Ihre Rechnung habe der damals anerkannten Rechtsprechung und den einschlägigen Abrechnungsregeln entsprochen. Denn der Bundesverband Geriatrie...