Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss durch vorrangiges Überbrückungsgeld nach StVollzG. Einkommensberücksichtigung. zweckbestimmte Einnahme. Zweckidentität. vorzeitiger Verbrauch. Schuldentilgung
Orientierungssatz
1. Das an einen Haftentlassenen gezahlte Überbrückungsgeld nach § 51 StVollzG zählt grundsätzlich zum zu berücksichtigenden Einkommen gem § 11 Abs 1 SGB 2 und zwar unabhängig davon, ob es vor oder nach Antragstellung zugeflossen ist. Es dient gem § 51 Abs 1 StVollzG ausdrücklich dem Zweck der Sicherung des Lebensunterhaltes und stellt daher eine vorrangige Leistung dar, die Leistungen nach SGB 2 für die ersten 4 Wochen nach Haftentlassung ausschließt.
2. Leistungen nach SGB 2 sind jedoch zu gewähren, wenn der Haftentlassene zum Zeitpunkt der Antragstellung hilfebedürftig ist, weil das Überbrückungsgeld nach der Begleichung von Schulden zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr zur Verfügung steht.
3. Der vorzeitige Verbrauch von einmaligen Einnahmen kann nicht unbeachtet bleiben (entgegen LSG München vom 13.4.2007 - L 7 AS 309/06). Im Hinblick auf die zur Verfügung stehenden Sanktionsregelungen des § 31 Abs 4 SGB 2 und die möglichen Ersatzansprüche gem § 34 SGB 2, ist eine fiktive Anrechnung von Einkommen nicht gerechtfertigt.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 02.03.2009 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Berufungsverfahren zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist noch streitig, ob dem Kläger für den Zeitraum vom 28.03.2008 bis zum 22.04.2008 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zu gewähren sind.
Der 1974 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er wurde am 26.03.2008 aus der Haft (Beginn: 19.08.2005) entlassen. Der Kläger bezog ab diesem Zeitpunkt zur Entwöhnungsbehandlung eine kostenlose Unterkunft im Projekt X e. V. L, Fachklinik für medizinische Rehabilitation. Hier wurde ihm auch kostenlose Vollverpflegung zur Verfügung gestellt. Zum 01.09.2008 verzog er nach L. Bei der Haftentlassung am 26.03.2008 wurde dem Kläger ein Betrag in Höhe von 2.126,32 Euro ausgezahlt, wobei in diesem Betrag ein Überbrückungsgeld in Höhe von 1.794,00 EUR enthalten war.
Unter dem 28.03.2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II.
Mit Bescheid vom 20.05.2008 lehnte die Beklagte den Antrag zunächst mit der Begründung ab, der Kläger sei wegen des bei der Haftentlassung erhaltenen Überbrückungsgeldes nicht hilfebedürftig. Hiergegen legte der Kläger unter dem 25.05.2008 Widerspruch ein. Er habe am Tag seiner Entlassung unter Verwendung des Überbrückungsgeldes Schulden in Höhe von 1.700,00 EUR beglichen. Als Nachweis für Einzahlungen zu seinen Gunsten während des Zeitraumes der Inhaftierung legte der Kläger Belege vor.
Mit Abhilfebescheid vom 24.06.2008 hob die Beklagte den angefochtenen Bescheid auf und lehnte den Antrag vom 28.03.2008 nunmehr bis zum 22.04.2008 mit der Begründung ab, der Kläger sei für die Zeit vom 26.03.2008 bis zum 22.04.2008 nicht hilfebedürftig, da er seinen Bedarf vollständig mit dem Überbrückungsgeld bestreiten könne. Mit weiterem Bescheid vom 24.06.2008 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 23.04.2008 bis 30.09.2008, allerdings unter Anrechnung des verbleibenden Überbrückungsgeldes als einmaliges Einkommen in Höhe von 1.430,79 EUR.
Ferner kürzte die Beklagte die dem Kläger bewilligte Regelleistung in der Zeit vom 23.04.2008 bis zum 30.09.2008 um 35 vom Hundert wegen der den Kläger zur Verfügung gestellten kostenlosen Vollverpflegung. Auch gegen diese Bescheide erhob der Kläger unter dem 17.07.2008 Widerspruch.
Mit Widerspruchsbescheid vom 07.08.2008 wies die Beklagte die Widersprüche des Klägers als unbegründet zurück. Als monatlichen Gesamtbedarf des Klägers ermittelte die Beklagte einen Betrag in Höhe von 480,60 Euro (347,00 Euro Regelleistung, 118,31 Euro Krankenversicherung und 15,29 Euro Pflegeversicherung).
Der Kläger hat am 20.08.2008 beim Sozialgericht (SG) Köln Klage erhoben mit dem Ziel, ungekürzte Leistungen zu erhalten. Entgegen der Ausführungen der Beklagten stelle das Überbrückungsgeld keine einmalige Einnahme oder Einkommen dar, weil das Überbrückungsgeld/Arbeitsentgelt bereits vor seiner Antragstellung auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II zugeflossen sei. Es handele sich um geschütztes Vermögen. Zudem habe er vor Beantragung der Leistungen am 28.03.2008 das ihm ausgezahlte Überbrückungsgeld seinem Bruder zur Begleichung der während der 2 Jahre und 8 Monate andauernden Haftzeit von diesem verauslagten Gelder für Tabakwaren, Lebensmittel, Hygieneartikel etc. in Höhe von 1.730,00 Euro zurückgezahlt. Außerdem habe er sich notwendige Kleidungsstücke angeschafft. Außerdem sei die Anrechnung de...