Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit der Abschlagsregelung bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Altersrente für langjährig Versicherte
Orientierungssatz
1. Die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente ist für alle bis zum 31. 12. 1947 geborene Versicherte mit Vollendung des 63. Lebensjahres möglich. Sie führt durch die zwingend angeordnete Absenkung des Zugangsfaktors als Berechnungselement der persönlichen Entgeltpunkte automatisch zu einer geringeren Rentenhöhe. Der Zugangsfaktor ist für jeden Kalendermonat um 0,003 niedriger als 1,0.
2. Die Abschlagsregelung bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Altersrente für langjährige Versicherte ist verfassungsgemäß. § 236 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB 6 verletzt nicht den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Dieser Grundsatz hindert den Rentengesetzgeber nicht, Stichtage einzuführen, auch wenn das unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringt, vgl. BSG, Urteil vom 19. November 2009 - B 13 R 5/09 R.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 24.01.2011 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Höhe einer Altersrente für langjährig Versicherte.
Der am 00.00.1942 geborene Kläger war in der Zeit vom 1.4.1957 bis zum 31.12.2005 (mit Unterbrechungen) in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt und lebt seit dem 1.4.2006 in Polen. Nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau wurden von seinem Rentenversicherungskonto Anwartschaften auf deren Konto übertragen.
Auf seinen Antrag bewilligte die Beklagte ihm ab dem 1.1.2006 Altersrente für langjährig Versicherte nach dem 63. Lebensjahr in Höhe von (zunächst) monatlich 1.318,12 EUR (Bescheid vom 7.12.2005). Wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme ging sie dabei von einem Zugangsfaktor von 0,943 aus. Der Kläger widersprach der Kürzung der Rente durch Verringerung des Zugangsfaktors. Außerdem wandte er sich dagegen, dass er die Beitragslast zur Pflegeversicherung allein zu tragen habe. Die Beklagte erhöhte in der Folge die Rente unter Berücksichtigung zusätzlicher Beitragszeiten rückwirkend zum 1.1.2006 auf monatlich 1.320,51 EUR (Bescheid vom 1.3.2006). Den Widerspruch wies sie u.a. mit der Begründung zurück, die Altersgrenze für die Inanspruchnahme einer Altersrente für langjährig Versicherte sei für nach dem 31.12.1936 geborene Versicherte angehoben worden. Der Zugangsfaktor sei bei Renten wegen Alters, die vorzeitig in Anspruch genommen würden, für jeden Monat um 0,003 niedriger als 1,0. Die Altersgrenze von 63 Jahren (für die ungekürzte Inanspruchnahme) sei für Geburtsjahrgänge 1939 und später auf das 65. Lebensjahr angehoben worden. Da der Kläger die Rente 19 Monate vor seinem 65. Lebensjahr in Anspruch genommen habe, sei sie entsprechend (19 x 0,003 = 0,057; 1,0 - 0,057 = 0,943) zu mindern. Die Vertrauensschutzregelung finde für ihn keine Anwendung, da er nach dem Stichtag geboren sei (Widerspruchsbescheid vom 4.4.2006).
Mit "Widerspruch" vom 24.3.2006 (gegen den Bescheid vom 1.3.2006), eingegangen am 4.4.2006, beanstandete der Kläger zusätzlich die Umsetzung des Versorgungsausgleichs für das Jahr 1971, die Behandlung seiner in den Jahren 1976 und 1977 oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze gezahlten Beiträge und die Berechnung der Pflegeversicherungsbeiträge ab dem 1.4.2006 und bat, die Berechnung der Entgeltpunkte für Zeiten der beruflichen Ausbildung zu erläutern.
Mit seiner am 22.5.2006 gegen den Widerspruchsbescheid vom 4.4.2006 erhobenen Klage hat der Kläger zunächst die Verfassungswidrigkeit der durch die Anwendung des Zugangsfaktors erfolgten Rentenkürzung geltend gemacht. Später hat er die dazu ergangenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11.11.2008 als für seinen Fall nicht maßgeblich gehalten, weil es dort nur um Kläger gegangen sei, die eine vorgezogene Rente wegen Arbeitslosigkeit oder Schwerbehinderung hätten in Anspruch nehmen wollen und keine 45 Jahre Beitragszeit erreicht hatten. Das BVerfG selbst habe immer wieder die besondere Schutzbedürftigkeit der Eckrentner mit 45 Beitragsjahren betont. Er werde gegenüber den vor dem 1.1.1942 geborenen Versicherten, die abschlagsfrei vorzeitig in Rente gehen könnten, benachteiligt. Er habe sogar 48,5 Beitragsjahre und nehme die Rente nur knapp zwei Jahre vor der Regelaltersgrenze in Anspruch. Eine Ungleichbehandlung liege auch im Vergleich mit den Beziehern von Beamtenpensionen vor, bei denen zur Erzielung einer maximalen Pension nur eine Dienstzeit von 40 Jahren erforderlich sei. Daneben hat der Kläger die Argumente aus seinem (zweiten) Widerspruch vom 4.4.2006 wiederholt und ergänzt, die Beklagte habe auch die im Jahr 1966 oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze geleisteten Beiträge weder an ihn ausgekehrt noch im Rahmen der Höherversicherung berücksichtigt. Soweit er zunächst auch den Beitragsabzug zur Pflegeversicherung beanstandet hatte, hat der Kläger den Rechtsstreit für erledigt erklärt...