Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Analogleistung gem § 2 Abs 1 AsylbLG. planwidrige Regelungslücke des § 2 Abs 3 AsylbLG. verfassungskonforme Auslegung
Leitsatz (amtlich)
§ 2 Abs 3 AsylbLG ist seinem Sinn und Zweck nach einschränkend dahingehend auszulegen, dass der Leistungsausschluss nicht für minderjährige Kinder gilt, deren Eltern (-teile) zwar grundsätzlich die Leistungsvoraussetzungen des § 2 Abs 1 AsylbLG erfüllen, jedoch keine Leistungen nach dem AsylbLG, sondern "höherwertige" Leistungen nach anderen Leistungsgesetzen - zB Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (juris: SGB 2) - erhalten.
Orientierungssatz
1. (Minderjährige) Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG haben einen Anspruch auf Analogleistungen, wenn sie in ihrer Person die Voraussetzungen des § 2 Abs 1 AsylbLG erfüllen und der Leistungsanspruch nicht nach § 2 Abs 3 AsylbLG eingeschränkt ist (vgl BSG vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R = BSGE 101, 49 = SozR 4-3520 § 2 Nr 2 und LSG Essen vom 28.7.2008 - L 20 AY 20/08).
2. Auch wenn eine Rechtsnorm von ihrem Wortlaut her klar gefasst ist, kann sie (unbeabsichtigt) lückenhaft gefasst und deshalb bei der Rechtsanwendung auszufüllen sein. Eine ausfüllungsbedürftige, unbeabsichtigte Normlücke liegt vor, wenn die Gesetzgebung vorhandene, nach den Normzwecken regelungsbedürftige Rechtsfragen übersehen hat. Dies ist nach Überzeugung des Senats bei § 2 Abs 3 AsylbLG der Fall.
3. Dafür, dass § 2 Abs 3 AsylbLG nur die Konstellation erfassen soll, in der auch die Eltern bzw der Elternteil im Leistungsbezug nach dem AsylbLG stehen, spricht die gesetzeshistorische Betrachtung. Ebenso spricht für diese Auslegung Art 3 Abs 1 GG, wonach wesentlich gleiche Sachverhalte nicht ungleich behandelt werden dürfen (vgl BVerfG vom 11.1.2005 - 2 BvR 167/02 = BVerfGE 112, 164).
Tenor
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20.10.2008 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Änderung der für den Zeitraum vom 01.05.2006 bis zum 30.04.2007 durch faktische Auszahlung erteilten Leistungsbewilligungen in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.07.2007 verurteilt, den Klägern für die Zeit vom 01.05.2006 bis zum 30.04.2007 Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG unter Anrechnung der bereits geleisteten Zahlungen zu gewähren.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger begehren die Zuerkennung höherer sog. Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) anstelle der gewährten Leistungen nach den §§ 3 - 7 AsylbLG.
Die am 00.00.1990 im ehemaligen Jugoslawien geborene Klägerin zu 3), die am 00.00.1993 in Deutschland geborene Klägerin zu 1) sowie der am 00.00.1995 ebenfalls in Deutschland geborene Kläger zu 2) gingen aus einer Verbindung ihrer am 00.00.1975 geborenen Mutter mit dem am 00.00.1974 geborenen B hervor. Die Eltern, die der Volksgruppe der Roma zugehören, schlossen in der Vergangenheit eine Ehe nach Roma-Ritus und üben das Sorgerecht über die minderjährigen Kläger gemeinschaftlich aus. Im Februar 1992 reisten sie gemeinsam mit der Klägerin zu 3) aus dem ehemaligen Jugoslawien in das Bundesgebiet ein. Ihr Asylantrag vom 2.3.1992 wurde abgelehnt (Bescheid vom 16.6.1992; rechtskräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts [VG] Gelsenkirchen vom 22.8.1997). Ein danach von der Ausländerbehörde an die Bundesrepublik Jugoslawien gerichtetes Rückübernahmegesuch blieb erfolglos.
Vor diesem Hintergrund wurden den Klägern in der Vergangenheit durchgängig aufenthaltsrechtliche Duldungen erteilt. Die Klägerin zu 3) verfügt seit dem 30.1.2009 über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Außerdem bezogen alle drei Kläger durchgehend seit dem 1.6.1997 Leistungen nach § 3 AsylbLG, wobei von der Beklagten für die Zeit ab dem Monat Mai 2006 keine schriftlichen Bescheide erteilt wurden, sondern lediglich tatsächliche Auszahlungen der monatlichen Leistungen erfolgten.
Zwischenzeitlich heiratete die Mutter der Kläger am 00.00.2002 den am 00.00.1973 geborenen deutschen Staatsangehörigen P. Fortan bildeten die Kläger, ihre Mutter sowie ihr Ehemann eine Haushaltsgemeinschaft. Seit dem 1.1.2005 wurden der Mutter der Kläger, die inzwischen eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erhalten hatte, und ihrem Ehemann als Bedarfsgemeinschaft von dem Integrationscenter für Arbeit H durchgängig Leistungen in Form von Arbeitslosengeld II (Alg-II) bewilligt. Zum 15.2.2007 zog der Ehemann aus dem gemeinsamen Haushalt aus. Die Mutter der Kläger erhielt in der Folgezeit weiter Alg-II als eigene Bedarfsgemeinschaft.
Am 8.4.2007 legten die Kläger Widerspruch bei der Beklagten ein, mit dem sie geltend machten, ihnen seien ab dem 1.5.2006 Leistungen gemäß § 2 AsylbLG zu gewähren. Sofern die Beklagte der Auffassung sei, die Kläger hätten die Dauer ihres Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst, baten...