Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Hilfe für einen körperlich behinderten Menschen bei der Betreuung und Versorgung seines Kindes im eigenen Haushalt. verfassungsrechtlich geschützter Anspruch. Elternrecht. keine Konkurrenz Ansprüchen aus der Jugendhilfe. unterschiedliche Anspruchsinhaber. Anwendbarkeit des § 20 Abs 1 SGB 8 nur bei vorübergehendem Ausfall eines Elternteils
Orientierungssatz
1. Ein behinderter Elternteil, der körperlich nicht dazu in der Lage ist, sein Kind im erforderlichen Umfang ohne die Hilfe einer dritten Person zu versorgen, hat in den Zeiten, in denen der andere Elternteil hierfür berufsbedingt nicht zur Verfügung steht, Anspruch auf eine Hilfsperson im Haushalt im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 53 SGB 12.
2. Der Anspruch von Eltern auf die persönliche Betreuung und Versorgung ihrer Kinder in ihrem eigenen Familienhaushalt ist unmittelbarer Ausdruck des insbesondere durch Art 6 Abs 2 und 3 GG geschützten Elternrechts. Infolge der Gewährleistungen des Art 6 GG insgesamt darf Eltern oder Elternteilen auch nicht allein auf Grund einer körperlichen Behinderung gegen ihren Willen angesonnen werden, ihr Kind außerhalb des elterlichen Haushalts betreuen und versorgen zu lassen.
3. Der sozialhilferechtliche Anspruch auf eine Hilfsperson im Haushalt konkurriert nicht mit einem ganz oder teilweise deckungsgleichen jugendhilferechtlichen Anspruch. Der Hilfebedarf besteht ausschließlich in der Person des Elternteils und nicht etwa auch oder gar allein bei seinem Kind.
4. Mit dem "Ausfallen" eines Elternteils aus gesundheitlichen oder anderen zwingenden Gründen bei der Betreuung und Versorgung des Kindes im elterlichen Haushalt iS des § 20 Abs 1 SGB 8 ist lediglich ein Ausfallen für einen vorübergehenden Zeitraum gemeint. Ziel der Unterstützung nach § 20 SGB 8 ist es, dem Kind seinen familiären Erziehungs- und Versorgungsbereich zu erhalten, bis die Eltern wieder in der Lage sind, diese Aufgabe selbst zu übernehmen.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 07.12.2010 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 12.424,80 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Kostenerstattung für Leistungen, die sie der schwerstbehinderten Frau D (im Folgenden: Leistungsempfängerin) für die Versorgung ihres Sohnes erbrachte hatte. Die Beteiligten streiten darüber, ob es sich bei diesen Leistungen der "Elternassistenz" um Hilfe für behinderte Menschen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) oder aber um Jugendhilfe nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) handelt.
Die im Januar 1972 geborene, seit Ende 2008 verheiratete Leistungsempfängerin leidet seit ihrer Geburt an einer spastischen Lähmung aller vier Gliedmaßen (Tetraplegie) und ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Sie ist in die Pflegestufe II eingeordnet und bezieht ein monatliches Pflegegeld von 420 Euro; bei ihr ist ein Grad der Behinderung von 100 festgestellt, ferner die Merkzeichen, B, G, aG, H und RF. Sie kann nur begrenzte Tätigkeiten im Haushalt erledigen und ist in allen Lebensbereichen auf Unterstützung angewiesen. Deswegen bezieht sie seit Jahren von der Beklagten Eingliederungshilfe nach § 54 SGB XII (im Rahmen ambulanten betreuten Wohnens). Den übrigen Hilfebedarf (Haushalt, Unterstützung beim Aufstehen, Ankleiden, Frisieren etc.) deckt ihr Ehemann.
Am 00.00.2009 wurde ihr gemeinsamer, nicht-behinderter Sohn K geboren. Die Leistungsempfängerin gab daraufhin ihre vorherige Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen auf.
Der Ehemann der Leistungsempfängerin ist als CNC-Fräser in Vollzeit beschäftigt. Er erzielt ein monatliches Netto-Arbeitsentgelt zwischen 1.600 und 2.000 Euro; wegen der jeweiligen konkreten Höhe wird insbesondere auf Blatt 242 der Verwaltungsakte verwiesen. Die Leistungsempfängerin und ihr Ehemann bewohnen ein Einfamilienhaus, dessen Eigentümer der Ehemann der Leistungsempfängerin ist; er erzielt monatliche Einkünfte aus der Vermietung eines Teils dieser Immobilie von 320 Euro. Für die Finanzierung der Immobilie zahlen die Leistungsempfängerin und ihr Ehemann jährlich 6.015 Euro (ab Ende 2009: 6.174,76 Euro) und für öffentliche Abgaben sowie Versicherungen jährlich 876 Euro (ab Ende 2009: 930,51 Euro); wegen der Einzelheiten wird insbesondere auf Blatt 435 und 468 der Verwaltungsakte verwiesen.
Bereits mit Schreiben vom 05.03.2009 hatte die Leistungsempfängerin bei dem Beklagten die Übernahme der Kosten der Elternassistenz ab dem 15.07.2009 im Umfang von 10 Stunden werktäglich mit der Begründung beantragt, ihr Ehemann werde nach der dreimonatigen Elternzeit in seinen Beruf zurückkehren, und sie werde dann während seiner arbeitstäglichen zehnstündigen Abwesenheit zur Erfüllung ihrer Rolle als Mutter und zur Versorgung ihres Sohnes auf Grund ihrer körperlichen Behind...