Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistung. Ausländer ohne Identitätspapier. Passpflicht. Übernahme von Passbeschaffungskosten und Fahrtkosten gem § 73 S 1 SGB 12 iVm § 2 Abs 1 AsylbLG

 

Orientierungssatz

1. Ein Ausländer hat gem § 73 S 1 SGB 12 iVm § 2 Abs 1 AsylbLG einen Anspruch auf Kostenübernahme von Passbeschaffungskosten.

2. Mittel für die Kosten der Passausstellung sind nicht in den Regelsätzen nach § 28 SGB 12 enthalten. Es kann nicht auf ein Ansparen im Regelsatz enthaltener Mittel verwiesen werden. Aus dem gleichen Grund scheidet die Inanspruchnahme von Darlehen nach § 37 Abs 1 SGB 12 aus (vgl VG Dresden vom 8.7.2005 - 13 K 2649/04 zur Rechtslage nach BSHG und SG Berlin vom 26.11.2008 - S 51 AY 46/06).

3. Für Fahrtkosten, die notwendigerweise gemeinsam mit den Gebühren für die Passausstellung anfallen und deswegen untrennbar mit ihnen verbunden sind, gelten die vorstehenden Ausführungen entsprechend.

4. Die Regelung des § 3 Abs 1 AufenthG 2004 begründet eine gesetzliche Passpflicht.

5. Der Senat teilt die Rechtsauffassung, Passbeschaffungs- oder in diesem Zusammenhang anfallende Fahrtkosten stellten keine atypische Bedarfslage iS des § 73 SGB 12 dar, nicht (entgegen LSG Essen vom 22.7.2010 - L 7 B 204/09 AS und vom 3.1.2011 - L 7 AS 460/10 B).

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 10.3.2008 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 9.11.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.5.2007 verurteilt, die Passbeschaffungskosten des Klägers i.H.v. 202,75 EUR zu übernehmen.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt den Ersatz von Kosten, die ihm für die Beschaffung eines Nationalpasses entstanden sind.

Der am 00.00.1978 in Belgrad geborene Kläger reiste im Jahre 1999 gemeinsam mit seinen Eltern und seiner Schwester in das Bundesgebiet ein. Sein Asylantrag (vom 7.7.1999) wurde als offensichtlich unbegründet bestandskräftig abgelehnt (Bescheid vom 14.2.2002). Seit August 2002 ist er verheiratet. Mit seiner ebenfalls aus dem ehemaligen Jugoslawien (Serbien) stammenden Ehefrau hat er vier Kinder (neben einer im Jahre 2003 geboren Tochter zwei in den Jahren 2004 und 2005 geborene Söhne und eine weitere im Jahre 2007 geborene Tochter).

Der Kläger war im Besitz einer abgelaufenen "Licna-Karta" sowie eines Nationalpasses (Gültigkeitszeitraum: 1.7.2002 bis 31.10.2005). Die Ehefrau des Klägers verfügte noch über einen bis zum 16.1.2013 gültigen Nationalpass. Die Kinder besaßen keine Pässe.

Aufenthaltsrechtlich waren der Kläger und seine Familienangehörigen im Jahre 2006 geduldet nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Leistungsrechtlich bezogen er und seine Familie zunächst bis zum Jahr 2006 Grundleistungen gemäß § 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG). Am 3.3.2006 stellten sie bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung der höheren Leistungen nach § 2 AsylbLG (sog. Analogleistungen). Dem kam die Beklagte, soweit die Familienangehörigen die 36-monatige Vorbezugszeit des § 2 Abs. 1 AsylbLG erfüllten, nach (Bescheide vom 17.8.2006). Hieraus ergab sich für den Kläger ein Nachzahlungsbetrag in Höhe von 247,05 EUR.

Am 28.9.2006 beantragte der Klägerbevollmächtigte die Übernahme von Passbeschaffungskosten für den Kläger, dessen ältere Tochter, dessen Ehefrau und die beiden Söhne. Zuvor war die Familie von der Ausländerbehörde der Beklagten darauf hingewiesen worden, dass sie zur Passbeschaffung verpflichtet seien. Zur Begründung des Antrages auf Kostenübernahme wurde ausgeführt, die Familie wolle ihre Mitwirkungspflichten bei der Passbeschaffung gemäß § 3 i.V.m. § 48 Abs. 2 und Abs. 3 AufenthG erfüllen. Denn dies sei Regelvoraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Ebenfalls sei die Erfüllung der Passpflicht bei bestimmten Aufenthaltstiteln im Rahmen der Ermessensausübung positiv zu berücksichtigen. Auch bei den Regelungen der § 25 Abs. 3 und § 9 AufenthG könne die Nichterfüllung der Passpflicht negative Auswirkungen haben.

Mit Bescheid vom 9.11.2006 lehnte die Beklagte die Anträge ab. Ihren Feststellungen zufolge seien sowohl der Kläger als auch seine Ehefrau bereits im Besitz von Nationalpässen. Die Kinder könnten in die Pässe der Eltern eingetragen werden. Die Übernahme der Kosten für die Beschaffung von Pässen aus Mitteln der Sozialhilfe komme schon allein aufgrund des Prinzips des Nachranges der Sozialhilfe (§ 2 des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches [SGB XII]) nicht in Betracht. Unabhängig davon, müsse der Antrag jedoch abgelehnt werden, weil der Kläger und seine Familie derzeit Leistungen entsprechend den Bestimmungen des SGB XII bezögen. Die Gewährung einmaliger Bedarfe sei in § 31 Abs. 1 SGB XII geregelt. Danach würden lediglich Leistungen für Erstausstattungen einer Wohnung, Erstausstattung für Bekleidung und Schwangerschaft sowie für mehrtägige Klassenfahrten gesondert erbracht. Diese Regelung...

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