Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Rentenversicherung. Vormerkung einer nachversicherten Zeit ohne tatsächliche Beitragszahlung. Verjährung. Grundsatz von Treu und Glauben
Orientierungssatz
1. Die Vorschrift des § 124 Abs. 4 AVG ermöglicht die Vormerkung einer nachversicherten Zeit, ohne dass es auf die tatsächliche Beitragszahlung durch den Arbeitgeber bzw. Dienstherrn ankommt.
2. Die Vorschrift des § 281 Abs. 2 SGB 6 ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass von ihrem Anwendungsbereich die Personen ausgenommen sind, bei denen bei Inkrafttreten der Norm am 1.8.2004 bereits die dreißigjährige Verjährungsfrist verstrichen war.
3. Ein Recht darf nicht dergestalt ausgenutzt werden, dass seine Ausübung als missbräuchlich erscheint. Dem Grundsatz von Treu und Glauben untersteht nicht nur die Geltendmachung von Ansprüchen, sondern auch die Erhebung aller Einwendungen und Einreden, zu denen auch die Verjährung eines Rechts zu zählen ist.
Nachgehend
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 22. April 2005 wird aufgehoben. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 23.04.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.11.2004 verurteilt, die Zeit vom 01.06.1970 bis 31.07.1972 als nachversicherte Zeit des Klägers vorzumerken. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Nachversicherung des Klägers.
Der am 00.00.1942 geborene Kläger war bei dem beigeladenen Land Nordrhein-Westfalen (NRW) als Beamter beschäftigt, wobei er zunächst ab dem 01.06.1970 den Vorbereitungsdienst für das Lehramt an der Realschule ableistete und zum 01.02.1972 unter Berufung zum Realschullehrer zur Anstellung zum Beamten auf Probe ernannt wurde. Mit Ablauf des 31.07.1972 wurde er auf sein Verlangen aus dem Dienst des Beigeladenen entlassen.
Mit Schreiben vom 19.10.1972 teilte der Beigeladene dem Kläger mit, es sei zu prüfen, ob Beiträge zur Angestelltenversicherung für die Zeit seiner versicherungsfreien Beschäftigung im Dienste des Landes nach § 124 Abs. 6 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zu entrichten seien oder ob die Nachentrichtung der Beiträge nach § 125 Abs. 1 AVG aufzuschieben sei. - Die über den Kläger geführten Personalakten des Beigeladenen enthalten keinen Rücklauf auf dieses Schreiben, sondern nur einen Vermerk "über den vorläufigen Abschluss des Nachversicherungsfalles". Mit einem am 24.05.1974 beim Beigeladenen eingegangenen Schreiben teilte der Kläger diesem u.a. mit, ihm sei am 02.08.1973 ein Schreiben über eine evtl. Nachversicherung zugesandt worden. Für die verspätete Beantwortung entschuldige er sich. Er gebe dieses Schreiben in der Anlage zurück. Dieses Schreiben des Klägers ist den Personalakten mit der Bemerkung beigeheftet, "die Anlage bezüglich der Nachversicherung liege nicht an". Eine entsprechende Benachrichtigung des Klägers unterblieb.
Nach dem Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis im Juli 1972 nahm der Kläger zunächst erneut ein Studium auf. Zum 08.09.1981 trat er sodann in ein rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis als angestellter Realschullehrer beim Beigeladenen ein. Seit diesem Zeitpunkt wurden für ihn durchgehend Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet.
Im Dezember 2003 machte der Kläger im Rahmen eines Kontenklärungsantrags gegenüber der Beklagten erstmals geltend, es könne für ihn ein Anspruch auf Nachversicherung für die Zeit vom 01.02.1970 bis 31.07.1972 bestehen. Der Beigeladene erhob mit Schreiben vom 10.03.2004 aufgrund einer Mitteilung der Beklagten, es sei für den Kläger, der aus der versicherungsfreien Beschäftigung bei dem Beigeladenen ausgeschieden sei, die Frage der Nachversicherung zu prüfen, gegenüber dieser die Einrede der Verjährung nach § 195 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).
Daraufhin lehnte es die Beklagte dem Kläger gegenüber mit Bescheid vom 23.04.2004 ab, die Nachversicherung für die Zeit vom 01.02.1970 bis 31.07.1972 gemäß § 233 Abs. 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) i.V.m. § 9 des AVG durchzuführen. Der Anspruch des Versicherungsträgers zur Beitragsforderung sei gemäß § 205 AVG i.V.m. § 29 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) in zwei Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres der Fälligkeit der Beiträge verjährt, soweit diese nicht absichtlich hinterzogen worden seien. Für den letzteren Fall habe in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BGB (§§ 195 ff.) eine Verjährungsfrist von 30 Jahren gegolten. Nach Aktenlage seien die Nachversicherungsbeiträge am 01.08.1972 fällig geworden. Damit bestehe für sie, die Beklagte, kein Recht mehr auf Forderung der Beiträge, es sei denn der Nachversicherungsschuldner würde diese freiwillig anbieten. Der Beigeladene habe jedoch die Einrede der Verjährung erhoben.
Mit dem Widerspruch bezog sich der Kläger auf die Rechtsprechung des Landessozialgerichts (LSG) Saarbrücken, wie sie in ei...