Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Versorgungskrankengeld. Arbeitsunfähigkeit bei freiwilligem Berufswechsel. maßgebendes Beschäftigungsverhältnis. Anerkennung als Arbeits- und Belastungserprobung. Teilzeittätigkeit wegen mangelnden Bedarfs bzw nebenberuflichem Studium. Bindungswirkung der Erwähnung von Arbeitsunfähigkeit in Schriftstücken der Versorgungsbehörde -keine Erforderlichkeit einer bescheidmäßigen Feststellung eines Dauerzustands bei rückwirkender Prüfung von Versorgungskrankengeld. Ausschluss von Versorgungskrankengeld bei Bezug von Übergangsgeld. ersatzweises Ruhen des Versorgungskrankengelds. sozialgerichtliches Verfahren. Auslegung eines gerichtlichen Vergleichs. Berufung "nicht nur" auf die Ruhensvorschrift. Möglichkeit der Berufung "auch" auf die Ruhensvorschrift
Orientierungssatz
1. Der Anspruch auf Versorgungskrankengeld ist ausgeschlossen, soweit Übergangsgeld bei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht wird. Einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung (wie in § 46 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB 7 für das Verletztengeld) bedarf es insoweit nicht.
2. Selbst wenn nicht von vornherein ein Anspruchsausschluss anzunehmen sei, würde der Anspruch auf Versorgungskrankengeld als ergänzende Leistung zur Heilbehandlung nach § 65 Abs 3 Nr 1 BVG ruhen.
3. Ein gerichtlicher Vergleich, in dem sich die beklagte Partei bereit erklärt hat, sich "nicht nur" auf die Ruhensvorschrift des § 65 BVG zu berufen, schließt es nicht aus, dass sie sich weiterhin - zumindest auch - auf das Ruhen berufen darf.
4. Hat der Beschädigte aus freien Stücken eine seinem Gesundheitszustand entsprechende Beschäftigung bei einem neuen Arbeitgeber aufgenommen, ist für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung eines Anspruchs auf Versorgungskrankengeld die neue, zuletzt ausgeübte Tätigkeit maßgebend (vgl zum Krankengeld: BSG vom 2.10.1970 - 3 RK 6/70 = BSGE 32, 18 = SozR Nr 40 zu § 182 RVO).
5. Der Annahme eines freiwilligen Berufswechsels steht nicht zwingend entgegen, dass die zuständige Berufsgenossenschaft die neue Tätigkeit zunächst als Arbeits- und Belastungserprobung anerkannt hat.
6. Gegen eine Arbeitsunfähigkeit kann sprechen, wenn eine Tätigkeit auch deshalb nicht in Vollzeit ausgeübt wird, weil seitens des Arbeitgebers kein voller Bedarf bestand oder weil Zeit für die Aufnahme eines nebenberuflichen Studiums gewonnen werden soll.
7. Allein dadurch, dass die Versorgungsbehörde in ihren Schreiben den Begriff der "Arbeitsunfähigkeit" erwähnt, kann noch nicht ohne Weiteres geschlossen werden, sie habe sich im Hinblick auf die Feststellung dieses einzelnen Tatbestandsmerkmals rechtlich binden wollen.
8. Bei der rückwirkenden Prüfung von Versorgungskrankengeld setzt die Bejahung eines Dauerzustands nach § 18a Abs 7 S 2 BVG nicht voraus, dass dieser zuvor bescheidmäßig festgestellt worden ist (so auch LSG Essen vom 18.9.2020 - L 13 VG 65/15).
9. Jedenfalls kann der Verweis der Versorgungsbehörde darauf, dass Versorgungskrankengeld nicht für mehr als 78 Wochen gezahlt werden könne, als ausreichende bescheidmäßige Feststellung des Dauerzustands nach § 18a Abs 7 S 2 BVG ausgelegt werden.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 19.01.2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Versorgungskrankengeld ab dem 11.10.2003 nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Die am 00.00.1956 geborene Klägerin ist gelernte Drogistin. Nach verschiedenen Tätigkeiten, zuletzt bei der Firma E, wo sie u.a. Schulungen durchführte, wechselte sie 1999 zur Firma N. Sie arbeitete dort als Leiterin einer Bonner Filiale und verdiente monatlich 4400,- DM brutto. Am 19.10.2000 wurde die Filiale überfallen. Die Klägerin wurde von den Tätern u.a. gewürgt, geschlagen und gefesselt. Wegen der psychischen Folgen der Tat war die Klägerin arbeitsunfähig und trat ihre Arbeitsstelle bis zum Ende des Beschäftigungsverhältnisses nicht mehr an. Das Beschäftigungsverhältnis wurde durch die F GmbH übernommen, mit der die Klägerin am 30.06.2006 einen Aufhebungsvertrag mit Ablauf des 28.09.2006 unter Zahlung einer Abfindung i.H.v. 43.768,02 EUR schloss.
Am 20.08.2001 trat die Klägerin eine Stelle als Lehrkraft am C-Berufskolleg an, zunächst im Rahmen eines befristeten Arbeitsvertrages, ab August 2003 im Rahmen eines unbefristeten Arbeitsvertrages. Die Klägerin begann mit 6/29 Unterrichtsstunden. Von 2002 bis 2005 arbeitete sie im Umfang von 11-12/29 Wochenstunden, ab 2006 im Umfang von 19-20/30 Wochenstunden.
Vom 11.10.2003 bis zum 21.06.2005 absolvierte die Klägerin ein berufsbegleitendes Studium, das sie als Betriebswirtin für Soziale Einrichtungen (TÜV) abschloss.
Nach Ablauf der Entgeltfortzahlung zahlte die damals zuständige Berufsgenossenschaft, die Berufsgenossenschaft...