Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Grundleistung gem § 3 AsylbLG. Einkommenseinsatz von Verwandten (hier: Einkünfte des Sohnes und seiner Ehefrau). kein Familienangehöriger iS des § 7 Abs 1 AsylbLG. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Der Begriff des Familienangehörigen in § 7 Abs 1 S 1 AsylbLG ist eng iS des Begriffs der "Kernfamilie" in § 1 Abs 1 Nr 6 AsylbLG auszulegen. Hierunter fallen also nur Ehegatten, Lebenspartner und minderjährige Kinder.
Orientierungssatz
1. § 7 Abs 1 S 1 AsylbLG gestattet bei der Bemessung der Leistungen für einen Hilfebedürftigen nicht die leistungsmindernde Berücksichtigung von Einkünften des Sohnes und seiner Ehefrau.
2. Ein weiter Begriff des "Familienangehörigen" in § 7 Abs 1 S 1 AsylbLG lässt sich nicht mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG vereinbaren (vgl BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua = BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 18.6.2008 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt 5/6 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Rechtszüge.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Im Streit steht die Höhe von Leistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Die am 00.00.1932 geborene, seit 1993 verwitwete Klägerin lebt seit 1993 in der Bundesrepublik Deutschland. Sie stammt nach ihren Angaben aus Bosnien-Herzegovina und besitzt sowohl einen bosnisch-herzegovinischen als auch einen kroatischen Pass. Ein Asylverfahren wurde nicht durchgeführt. Seit März 2005 verfügt sie über einen Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG).
In der Vergangenheit wohnte sie gemeinsam mit ihrem 1969 geborenen Sohn, ihrer 1970 geborenen Schwiegertochter und ihrer 1998 geborenen Enkelin in einer Mietwohnung im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten und wirtschaftete mit ihrem Sohn und dessen Familie in einem Haushalt. Sowohl der Sohn als auch die Schwiegertochter und die Enkelin besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Kosten für die von der Klägerin mit der Familie ihres Sohnes bewohnte Wohnung beliefen sich seit Juni 2005 - auch noch im Januar 2007 - insgesamt auf 712,00 EUR monatlich (Kosten der Unterkunft und Heizung). Seit Februar 2011 wohnt die Klägerin alleine in einem Seniorenwohnheim.
Der Sohn der Klägerin ist erwerbstätig bei der X AG. Das Grundgehalt - ohne Zuschläge und Einmalzahlungen - belief sich seit November 2006 auf etwa 1.900,00 EUR monatlich. Auch die Schwiegertochter der Klägerin ist als Hauwirtschaftshilfe geringfügig erwerbstätig. Sie erzielte in der Regel Verdienste i.H.v. etwa 120,00 EUR monatlich. An Vermögenswerten verfügten die Eheleute im Januar 2007 über eine Lebensversicherung und ein Investmentkonto (zur Anlage vermögenswirksamer Leistungen). Es bestanden Zahlungsverpflichtungen für diverse Versicherungen und Kreditverbindlichkeiten (Stand Mai 2007: ca. 18.000,00 EUR). Die noch schulpflichtige Enkelin der Klägerin verfügte weder über Einkommen noch über Vermögen.
Die Klägerin selbst war und ist vermögenslos. Sie verfügt jedoch über Renteneinkommen in Form einer Witwenrente aus der deutschen Rentenversicherung (DRV) und über eine kroatische Witwenrente. Die Einkünfte hieraus beliefen sich im Januar 2007 auf 109,87 EUR (kroatische Witwenrente) und 52,66 EUR (Rente aus der DRV).
Seit Januar 2003 bezog die Klägerin von der Beklagten zunächst Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung unter Anrechnung ihrer Renteneinkünfte, aber ohne Anrechnung von Einkünften des Sohnes oder der Schwiegertochter, zuletzt befristet bis zum 31.12.2004.
Seit Januar 2005 erhielt sie von der Beklagten monatsweise Leistungen nach § 3 AsylbLG, wobei die Gewährung teilweise durch schriftliche Bescheide und teilweise durch tatsächliche Auszahlung erfolgte. Daneben wurden wiederholt auch Leistungen nach § 4 AsylbLG erbracht. Bei der Berechnung des Leistungsbetrages nach § 3 AsylbLG blieb das Einkommen oder Vermögen des Sohnes der Klägerin bzw. der Schwiegertochter zunächst unberücksichtigt, weil die Beklagte nach Überprüfung zu dem Ergebnis kam, dass die Einkünfte zu gering bzw. die Vermögenswerte nicht zu berücksichtigen seien.
In den Monaten Mai, August und Dezember 2005 sowie Januar bis März, Mai und November 2006 zahlte die Beklagte an die Klägerin jedoch keine bzw. nicht nur um deren Renteneinkünfte, sondern auch um Einkünfte des Sohnes und der Schwiegertochter gekürzte Leistungen. Sie hielt dabei zusätzlich Einkünfte des Sohnes und der Schwiegertochter für anrechenbar, die - nach Berechnung der Beklagten - deren fiktiven Bedarf einschließlich desjenigen der Enkelin nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) überstiegen. Die hierüber erteilten schriftlichen Bescheide der Beklagten waren jeweils mit einer Rechtsmittelbelehrung verse...