Entscheidungsstichwort (Thema)
Regress wegen unzulässiger Verordnung von Sprechstundenbedarf
Orientierungssatz
1. Die Durchführung der Wirtschaftlichkeitsprüfung wird in § 106 SGB 5 ausschließlich den Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung von Vertragsärzten und Krankenkassen zugewiesen. Hierzu zählt auch die Kompetenz zur sachlich-rechnerischen Honorarberichtigung und zur Festsetzung von Schadensersatzansprüchen wegen unzulässiger Verordnung.
2. Haben die Parteien der SSB-Vereinbarung einen abschließenden Katalog der verordnungsfähigen Mittel aufgestellt, so ist dieser mangels einer Regelungslücke einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich.
3. Eine fehlerhafte, weil unzulässige SSB-Verordnung löst eine verschuldensunabhängige Ersatzpflicht des Vertragsarztes aus. Der auf das Fehlen der Verordnungsfähigkeit gestützte SSB-Regress ist ein Schadensersatz- und kein Bereicherungsanspruch. Infolgedessen kommt eine Berücksichtigung ggfs. ersparter Aufwendungen nicht in Betracht.
4. Ein Vertrauenstatbestand zugunsten des Vertragsarztes ist u. a. dann anzunehmen, wenn seit Erlass des Honorarbescheides bis zum Zeitpunkt der Regressforderung eine Frist von vier Jahren abgelaufen ist.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 29.07.2009 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin, die als Fachärztin für Anästhesiologie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist, wendet sich gegen einen Regress wegen unzulässiger Verordnung von Sprechstundenbedarf (SSB) in den Quartalen IV/04 bis 111/05.
Auf die Anträge der beigeladenen Krankenkasse zu 8) für das Quartal IV/04 vom 14.12.2005, für das Quartal 1/05 vom 30.03.2006, für das Quartal 11/05 vom 29.06.2006 und für das Quartal 111/05 vom 25.09.2006 setzte der Prüfungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen Nordrhein mit Bescheiden vom 15.08.2006 (IV/04 und 1/05), 13.11.2006 (11/05) und 17.01.2007 (111/05) Regresse wegen unzulässiger Verordnung von Portex Single Shot ProBloc Nadeln als SSB in Höhe von insgesamt 5.147,40 EUR fest.
Mit ihren Widersprüchen wandte sich die Klägerin gegen die Regressforderungen und verwies zur Begründung auf ein Urteil des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf vom 08.02.2006 (S 14 KA 60/05). In diesem Verfahren hatte sich die dortige Klägerin erfolgreich gegen von dem Beklagten u.a. regressierte Verordnungen von Plexufix Kanülen als SSB gewandt. Bei den nunmehr beanstandeten Artikeln handele es sich um vergleichbare Kanülen eines anderen Herstellers. Der Beklagte wies ihre Einwendungen mit Widerspruchsbescheid vom 13.06. 2007 zurück. Single Shot ProBloc Nadeln könnten nicht unter Punkt IV.5 der Vereinbarung über die ärztliche Verordnung von SSB (im Folgenden: SSB-Vereinbarung) - Mittel zur Diagnostik und Sofortanwendung - subsumiert werden.
Mit ihrer fristgerecht eingelegten Klage hat die Klägerin unter Ergänzung ihrer bisherigen Ausführungen vorgetragen: Single Shot ProBloc Nadeln seien wie die Produkte "Plexufix" oder "Stimuplex" keine Einmalspritzen oder -kanülen, sondern Verweilkanülen. Die Beigeladene zu 8) habe in der Vergangenheit ihre Prüfanträge wegen der Verordnung von Stimuplex D-Kanülen für die Quartale 11/01 und 11/03 im Rahmen der jeweiligen Widerspruchsverfahren zurückgenommen. Im Vertrauen auf diese Entscheidungen habe sie auch in der Folgezeit bei ihrer Tätigkeit die streitigen "Verweilkanülen" verwendet, allerdings den Hersteller gewechselt, so dass nunmehr das technisch vergleichbare Produkt ProBloc Single Shot verwendet werde. Bei der Plexusanästhesie würden in der Regel 50 ml der zu applizierenden Flüssigkeit über einen Zeitraum von zum Teil mehreren Stunden in den Körper eingebracht. Bei den streitigen Nadeln handele es sich um Verweilkanülen, die während der gesamten Operationszeit zum Teil über mehrere Stunden am Patienten verblieben. Während dieser Zeit werde ohne Druck, also nur durch Schwerkraft, ein Anästhetikum von mehr als 20ml, meist 50ml, in den Körper des Patienten eingebracht, so dass es sich bei dem streitigen Verfahren um eine Infusion und nicht um eine Injektion handele.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 13.06.2007 aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Unter Aufrechterhaltung seiner Auffassung hat der Beklagte ergänzend vorgetragen: Nach der Herstellerbeschreibung dienten Single Shot ProBloc Nadeln der punktgenauen Lokalisierung des Nervs im Wege der Stimulation zur selektiven Schmerzausschaltung durch Verabreichung von Lokalanästhetika am Nerv. Die Applikation von Anästhetika im Rahmen der Plexusanästhesie erfolge mittels Injektion und nicht mittels Infusion. Daran ändere sich nichts, wenn die Nadeln zum Nachspritzen während der Dauer der Operation am Patienten verblieben. Die Verabreichung einer ggf. weiteren Betäubungsmitteldosis erfolge ebenfalls per Injektion. Bei der Plexusanästhesie fehle es zumindest an dem eine Infusion regelmäßig kennz...