Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Grad der Behinderung. Gesamt-GdB von 50. Wechselwirkung zwischen verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen. Erhöhungswirkung eines Einzel-GdB von 20
Orientierungssatz
1. Bei der Bildung des Gesamt-GdB im Schwerbehindertenrecht ist zu berücksichtigen, ob die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen ineinander aufgehen, sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (vgl BSG vom 2.12.2010 - B 9 SB 4/10 R).
2. Es gibt weder einen Erfahrungssatz noch eine rechnerische Regel, die verlangen würden, alle mit einem GdB von 20 bewerteten Gesundheitsbeeinträchtigungen bei der Bildung des Gesamt-GdB stets erhöhend zu berücksichtigen, soweit sie sich nicht überschneiden oder decken.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 28.02.2011 wird zurückgewiesen.
Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten noch über die Frage, ab wann bei der Klägerin die Schwerbehinderteneigenschaft festzustellen ist.
Die 1950 geborene Klägerin stellte am 06.08.2007 erstmals einen Feststellungsantrag nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) u.a. wegen Rückenschmerzen und depressiver Beschwerden. Das zuständige Versorgungsamt L stellte mit Bescheid vom 27.11.2007 bei der Klägerin einen Gesamt-Grad der Behinderung (Gesamt-GdB) von 40 fest. Die zu Grunde liegende versorgungsärztliche Stellungnahme ging von einem Einzel-GdB von 40 für die Depressionen der Klägerin sowie von einem Einzel-GdB von 10 jeweils für ihren Bluthochdruck und für ein degeneratives Wirbelsäulenleiden aus.
Auf den am 18.06.2009 gestellten Änderungsantrag, den die Klägerin u. a. mit Rücken- und Nacken- sowie Gelenk- und Kopfschmerzen begründete, schlug der versorgungsärztliche Dienst des Beklagten weiterhin einen Gesamt-GdB von 40 vor. Dabei bewertete er die psychischen Störungen der Klägerin nur noch mit einem Einzel-GdB von 30, ihr chronisches Wirbelsäulensyndrom mit Nervenwurzelreizerscheinungen mit einem Einzel-GdB von 20 sowie ihre Fingerpolyarthrose, ihre Handgelenksarthrose, ihren Hüftgelenksverschleiß und die Blasenschwäche jeweils mit einem Einzel-GdB von 10.
Mit Bescheid vom 06.10.2009 hob der Beklagte daraufhin den Bescheid vom 27.11.2007 auf und stellte ab dem 18.06.2009 bei der Klägerin einen Gesamt-GdB von 40 sowie eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit fest.
Ihren rechtzeitig eingelegten Widerspruch ließ die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten damit begründen, insbesondere ihre Depression sei bislang nicht ausreichend gewürdigt. Dasselbe gelte für die Beeinträchtigung ihrer Greiffähigkeit.
Mit Bescheid vom 31.03.2010 wies die Bezirksregierung Münster den Widerspruch zurück.
Die Klägerin hat am 23.02.2010 einen Antrag auf Rente für Schwerbehinderte gleichzeitig mit ihrem Antrag auf Altersrente für Frauen gestellt. Sie bezieht seit Juni 2010 Altersrente für Frauen.
Mit ihrer am 26.04.2010 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft ab Juni 2009 weiter verfolgt. Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Gutachten auf psychiatrischem, orthopädischem und internistischem Gebiet.
Der Psychiater Dr. E stellte bei der Klägerin eine wiederkehrende depressive Störung mit einer gegenwärtig mittelgradigen Episode fest, für die er einen Einzel-GdB von 30, wie im Bescheid vom 06.10.2009 zu Grunde gelegt, vorschlug.
Der Orthopäde Dr. X stellte in seinem Gutachten vom 31.10.2010 die Diagnosen:
- radiale Handwurzelarthrose sowie Daumengelenksarthrose rechts stärker als links mit Störung der Greiffunktion
- degeneratives Wirbelsäulensyndrom mit deutlicher Störung der lumbalen Beweglichkeit und beginnender Arthrose beider Hüftgelenke.
Für die Arthrose der Hand- und Daumengelenke schlug er einen Einzel-GdB von 20 und für die Einschränkung der Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule ebenfalls einen Einzel-GdB von 20 vor.
Der um einen Vorschlag für die Bildung des Gesamt-GdB gebetene internistische Sachverständige Dr. L stellte, bezogen auf das eigene Fachgebiet, keine relevanten Funktionseinschränkungen fest. Zum Zusammenspiel der Funktionsbeeinträchtigungen führte er aus, die psychischen Beeinträchtigungen und Beschwerden von Seiten des Halte- und Bewegungsapparates der Klägerin könnten sich als eine negative Rückkopplung der empfundenen Schmerzauswirkungen aufgrund der psychischen Beeinträchtigungen auswirken. Jedoch seien die strukturellen Störungen im Bereich der Wirbelsäule und der oberen Extremitäten gesondert zu werten. Ein Gesamt-GdB von 50 lasse sich unter Berücksichtigung der Zusatzgutachten nicht begründen.
Mit dem angefochtenen Urteil vom 28.02.2011 hat das Sozialgericht Köln die auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gerichtete Klage der Klägerin abgewiesen. Es ist dabei von einem Einzel-GdB von 30...