Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Übernahme von Bestattungskosten. Abgrenzung zur Bestattungspflicht. Unterhaltsverpflichteter als Verpflichteter iS des § 74 SGB 12. Zumutbarkeitsprüfung bei mehreren Erben bzw Verpflichteten. unbestimmter Rechtsbegriff. Nachrang der Kostenerstattung eines Sozialhilfeträgers. präsente Hilfemöglichkeit iS des § 8 Abs 1 BestattG NW. Abschluss des Bestattungsvertrags. kein Verweis auf eingreifende Bestattungspflicht der Ordnungsbehörde
Orientierungssatz
1. Ein nach § 74 SGB 12 Verpflichteter ist derjenige, der verpflichtet ist, die Bestattungskosten zu tragen. Davon zu unterscheiden ist die eigentliche Bestattungspflicht nach § 8 BestattG NW. Die Kostenpflicht kann mit der Bestattungspflicht zusammenfallen, dies ist jedoch nicht zwingend (vgl LSG Schleswig vom 14.3.2006 - L9 B 65/06 SO ER).
2. Verpflichteter iS des § 74 SGB 12 ist auch, wer zwar das Erbe ausgeschlagen hat und daher nicht als Erbe nach § 1968 BGB verpflichtet ist. Nach § 1615 Abs 2 BGB hat im Falle des Todes des Unterhaltsberechtigten der Unterhaltsverpflichtete die Kosten der Beerdigung zu tragen. Die Unterhaltspflicht als Ehegatte folgt aus § 1360 BGB.
3. Bei mehreren Erben bzw mehreren Verpflichteten ist die Zumutbarkeitsprüfung für den jeweiligen Anspruchsteller gesondert vorzunehmen. Anknüpfungspunkt ist dann der nach § 426 BGB von dem Hilfesuchenden zu tragende Teil an den Bestattungskosten.
4. Bei der Frage der Zumutbarkeit der Übernahme der Kosten der Bestattung iS des § 74 SGB 12 handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der in vollem Umfang für den konkreten Fall auszulegen ist. Danach ist es im konkreten Fall unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten ausgeschlossen, den Hilfesuchenden auf eine vorrangige Inanspruchnahme seiner Schwiegermutter zu verweisen.
5. Dabei sind Pietätsgesichtspunkte und Aspekte innerfamiliärer Rücksichtnahme unerheblich. Es ist nicht die Aufgabe des Sozialhilfeträgers einen Bedürftigen vor der ggf unangenehmen Inanspruchnahme leistungspflichtiger Familienangehöriger zu bewahren. Namentlich bei möglichen Unterhaltsansprüchen wird den Bedürftigen auch sonst aufgrund der sich aus § 2 SGB 12 ergebenen Verpflichtung zur Selbsthilfe zugemutet, zivilrechtliche Ansprüche vorläufig, insbesondere im Wege der einstweiligen Verfügung zeitnah zum aufgetretenen Bedarf vor den Zivilgerichten zu realisieren.
6. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass eine gerichtliche Inanspruchnahme der Schwiegermutter im Fall einer unmittelbar einzuleitenden Bestattung keine präsente Hilfemöglichkeit darstellt. Im Rahmen der Pflicht zur Selbsthilfe gem § 2 SGB 12 kann der Hilfebedürftige nur auf präsente Hilfemöglichkeiten verwiesen werden. Eine konkrete Selbsthilfemöglichkeit muss zumutbar und geeignet sein, die gegenwärtige Notlage auch tatsächlich abzuwenden.
7. Eine präsente Hilfemöglichkeit kann nur eine solche sein, die sich für den nach § 8 Abs 1 BestattG NW Verpflichteten - in der Rangfolge zunächst dem Ehegatte, erst danach den volljährigen Kindern bzw nachfolgend den Eltern des Verstorbenen - sehr zeitnah realisieren lässt. Eine so kurzfristige Inanspruchnahme eines offenkundig nicht zahlungsbereiten Dritten ist nicht, in der Regel auch nicht im Rahmen eines Eilverfahrens, möglich.
8. Ein zunächst entstandener Anspruch auf Übernahme der Bestattungskosten entfällt nicht durch den Vollzug der Bestattung.
9. Ein Anspruch auf Hilfeleistung darf nicht davon abhängen, wie zügig ein Sozialhilfeträger den Antrag bearbeitet bzw wie rasch der Verstorbene beerdigt wird. Es kann nicht zum Nachteil gereichen, wenn ein Bestattungspflichtiger für eine möglichst zügige Bestattung sorgt und daher zeitnah einen Bestattungsvertrag schließt.
10. Maßgebend kann nur sein, ob dem zur Bestattung und Kostentragung Verpflichteten zum Zeitpunkt des Abschlusses des Bestattungsvertrags zugemutet werden konnte, die erforderlichen Kosten der Bestattung zu übernehmen. Ist dies nicht der Fall, greift die Eintrittspflicht des Sozialhilfeträgers. Hieran ändert auch der Abschluss des Bestattungsvertrages nichts.
11. Ein Sozialhilfeträger kann den Hilfebedürftigen nicht auf eine ohnehin eingreifende Bestattungspflicht der Ordnungsbehörde verweisen und im Hinblick darauf eine Eintrittsverpflichtung ablehnen (vgl LSG Schleswig vom 14.3.2006 - L 9 B 65/06 SO ER). § 8 BestattG NW begründet eine öffentlich-rechtliche Pflicht des Bestattungspflichtigen selbst. Nur soweit dieser seiner Verpflichtung nicht oder nicht rechtzeitig nachkommt, hat die örtliche Ordnungsbehörde der Gemeinde, auf deren Gebiet der Tod eingetreten oder die oder der Tote gefunden worden ist, die Bestattung zu veranlassen. Weder ordnungsbehördliche noch sozialhilferechtliche Gesichtspunkte gebieten es, einem zur Durchführung der Bestattung bereiten Angehörigen zur Vermeidung sozialhilferechtlicher Nachteile die Einschaltung der Ordnungsbehörde aufzuerlegen (vgl BVerwG vom 22.2.2001 - 5 C 8/00 = BVerwGE 114, 57).
Nachgehend