Entscheidungsstichwort (Thema)

sozialgerichtliches Verfahren. Entscheidung durch Gerichtsbescheid. Fehleinschätzung des Schwierigkeitsgrades. Ermessen. Anhörung

 

Orientierungssatz

1. Bei der Beurteilung des Grades der Schwierigkeit tatsächlicher und rechtlicher Art iS von § 105 Abs 1 S 1 SGG steht dem Gericht ein Ermessensspielraum zu. Überschritten ist dieses Ermessen, wenn der Fall überdurchschnittliche Schwierigkeiten aufweist.

2. Bei der Anhörung gemäß § 105 Abs 1 S 2 SGG ist erforderlich, daß das Gericht den Beteiligten mitteilt, daß es eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung erwägt, und ihnen Gelegenheit gibt, sich dazu zu äußern. Dabei ist das rechtliche Gehör den Beteiligten ausreichend gewährt, wenn ihnen Gelegenheit zur ausführlichen Stellungnahme in der Sache selbst wie auch zur Äußerung von etwaigen Bedenken eingeräumt wird, die sie gegen die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und durch Gerichtsbescheid haben. Deshalb muß die Anhörung in einer Weise erfolgen, die diesem Ziel gerecht wird, also unmißverständlich, konkret und fallbezogen. Das bedeutet zugleich, daß die mit entsprechenden inhaltlichen Hinweisen versehene Anhörung am Ende der Ermittlungen und unmittelbar vor Erlaß des Gerichtsbescheides zu erfolgen hat (vgl LSG Essen vom 26.10.1998 - L 4 RJ 167/98).

 

Tatbestand

Streitig ist die Anrechnung einer fiktiven Pflichtbeitragszeit nach § 247 Abs. 2a des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) vom 01.04.1950 bis 31.03.1952.

Die 1934 geborene Klägerin ist die Tochter eines Landwirtes. 1955 hat sie geheiratet. Der Ehe entstammen drei Kinder; 1958 hat die Klägerin außerdem ein totes Mädchen geboren. In der Zeit von 1956 bis 1988 ist sie zunächst als beitragsfreie Ehefrau geführt worden. Später hat sie für einen Teil dieser Zeit freiwillige Beiträge entrichtet. Von Januar bis April 1990 sind für sie vier Pflichtbeiträge für eine Beschäftigung als Hausgehilfin bei ihrem Sohn entrichtet worden. Aufgrund eines Unfalls 1987 bezieht sie Unfallrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 %.

1991 beantragte sie erstmals die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit/Erwerbsunfähigkeit. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 20.03.1992 mit der Begründung abgelehnt, daß noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.11.1994 mit der Begründung zurück, daß weder Erwerbs- noch Berufsunfähigkeit vorliege und außerdem die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien, weil in dem maßgeblichen 60-Kalendermonatszeitraum lediglich vier Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen belegt seien. Dagegen hat die Klägerin Klage erhoben, S 11 J 166/94, die sie am 22.02.1996 nach dem Hinweis des Gerichts auf die fehlenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zurückgenommen hat. Bereits in diesem Verfahren hat sie erklärt, daß sie von April 1950 bis März 1952 eine landwirtschaftliche Ausbildung im elterlichen landwirtschaftlichen Ausbildungsbetrieb absolviert habe, und dazu eine eidesstattliche Versicherung vom 10.04.1995 vorgelegt, die von F. B., E. L. und I. K. unterschrieben worden ist.

Am 11.11.1994 beantragte die Klägerin erneut die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit/Erwerbsunfähigkeit. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20.01.1995 mit der Begründung ab, daß die Klägerin zwar seit dem 11.11.1994 erwerbsunfähig sei und auch die Wartezeit von fünf Jahren erfüllt sei, an der Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen in dem maßgeblichen Fünfjahreszeitraum vom 11.11.1989 bis 10.11.1994 jedoch 32 Monate an den erforderlichen 36 Kalendermonaten fehlten. Mit ihrem Widerspruch vom 03.02.1995 bat die Klägerin auch darum, die Ausbildungszeiten auf dem väterlichen landwirtschaftlichen Betrieb als Pflichtbeitragszeit nach § 247 Abs. 2a SGB VI zu berücksichtigen wie auch die Zeit des Besuches der Landwirtschaftsschule und Wirtschaftsberatungsstelle während des Winterhalbjahres 1952/1953. Dazu legte sie u.a. eine Bestätigung ihres Onkels F.... B...... vom 22.01.1995 vor. In Ergänzung ihres Bescheides vom 20.01.1995 erteilte die Beklagte den Bescheid vom 10.03.1995 und blieb dabei, daß die Klägerin zwar erwerbsunfähig sei, jedoch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien; zusätzlich lehnte die Beklagte die Berücksichtigung der Zeit vom 01.04.1950 bis 31.03.1952 als Ausbildungszeit nach § 247 Abs. 2a SGB VI ab, weil kein echtes Beschäftigungsverhältnis vorgelegen habe, sondern familiäre Mithilfe. Mit Schreiben vom 05.05.1995 legte die Klägerin eine Kopie der vorgenannten eidesstattlichen Versicherung vom 10.04.1995 vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 14.03.1996 gab die Beklagte dem Widerspruch gegen die Bescheide vom 20.01.1995 und 10.03.1995 teilweise statt, indem sie die Zeit vom 01.11.1952 bis 24.03.1953 als Anrechnungszeit gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 4 b SGB VI anerkannte; im ü...

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