Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. freiwillige Versicherung. Vorversicherungszeit. kein eigenständiges Prüfungsrecht der Krankenkasse hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Bezugs von Arbeitslosengeld II

 

Orientierungssatz

1. Im Rahmen des § 9 Abs 1 S 1 Nr 1 Halbs 2 SGB 5 dürfen die Krankenkassen nicht eigenständig die materielle Rechtmäßigkeit des Leistungsbezuges von Arbeitslosengeld II überprüfen, sondern sind an die Leistungsbewilligungen des nach SGB II zuständigen Trägers gebunden (vgl LSG Essen vom 19.9.2007 - L 11 KR 2/07).

2. "Zu Unrecht bezogen " iS des § 9 Abs 1 S 1 Nr 1 Halbs 2 SGB 5 hat ein Versicherter Arbeitslosengeld II nur dann, wenn die Bewilligung zurückgenommen oder aufgehoben worden ist. Der förmlichen Beseitigung der Leistungsbewilligung steht die Entstehung eines Erstattungsanspruchs gemäß § 44a Abs 2 SGB 2 gleich.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 25.04.2007 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten, im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin zum 01.03.2006 freiwillig versichertes Mitglied der Beklagten geworden ist.

Die 1948 geborene Klägerin war vom 12.04.1986 bis 29.02.1996 bei der Beklagten als freiwilliges Mitglied krankenversichert. Vom 01.01.2004 bis 31.12.2004 wurde sie im Rahmen des § 264 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches (SGB) V durch die Beklagte wegen des Bezugs von Sozialhilfeleistungen durch den Fachbereich Soziales der Stadt I betreut. Vom 01.01.2005 bis 28.02.2006 war sie aufgrund Bezugs von Arbeitslosengeld (Alg) II Pflichtmitglied der Beklagten. Ausweislich eines vom Fachbereich Gesundheit Amtsärztlicher Dienst der Stadt I erstatteten Gutachtens der Frau Dr. I vom 09.01.2006 war die Klägerin aufgrund ihrer geistigen Behinderung nur in der Lage, täglich weniger als 3 Stunden zu arbeiten. Das amtsärztliche Gutachten wurde unter Auswertung eines vom Amtsgericht I im März 2004 erstatteten Betreuungsgutachten erstellt. Seit 01.03.2006 bezieht die Klägerin Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem 9. Kapitel des SGB XII über die Stadt I.

Mit Schreiben vom 21.03.2006 beantragte die Klägerin die Durchführung einer freiwilligen Versicherung bei der Beklagten.

Mit Bescheid vom 12.07.2006 teilte die Beklagte der Klägerin mit, eine freiwillige Versicherung ab 01.03.2006 könne nicht durchgeführt werden. Der Zeitraum vom 01.01.2005 bis 28.02.2006 könne nicht gemäß § 9 Satz 1 Nr. 1 SGB V als Vorversicherungszeit berücksichtigt werden, da die Klägerin das Alg II infolge fehlender Erwerbsfähigkeit zu Unrecht bezogen habe. Dies ergebe sich aus dem von der ARGE I eingeholten amtsärztlichen Gutachten vom 09.01.2006. Die fehlende Erwerbsfähigkeit sei nicht erst zum Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens eingetreten, vielmehr habe diese bereits vor dem 01.01.2005 bestanden. Das ergebe sich aus dem für das Amtsgericht I erstellten Betreuungsgutachten aus dem Jahr 2004 und aus dem Umstand, das für die Klägerin bereits im Jahre 2002 eine amtliche Betreuung eingerichtet worden sei.

Den hiergegen gerichteten Widerspruch vom 11.08.2006 begründete die Klägerin damit, aus dem erst im Januar 2006 erstellten Gutachten könnten keine Rückschlüsse für die Vergangenheit gezogen werden. Daran ändere sich auch durch das für das Amtsgericht I erstellte Betreuungsgutachten nichts. Die Einrichtung einer Betreuung sei mit einer Erwerbsunfähigkeit nicht gleichzusetzen. Die Ansicht, die Klägerin habe im Zeitraum vom 01.01.2005 bis 28.02.2006 ALG II zu Unrecht bezogen, sei aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht nachvollziehbar. Ein Bescheid seitens der ARGE I über eine unrechtmäßige Zahlung liege nicht vor. Aus diesem Grunde sei davon auszugehen, die Klägerin habe die Leistung rechtmäßig erhalten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.11.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Über die im angefochtenen Bescheid vertretene Auffassung hinaus vertrat die Beklagte die Ansicht, die Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V setze nicht voraus, dass die Bewilligung der Leistungen nach dem SGB II gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II ivM § 330 SGB III und den § 44 ff SGB X aufgehoben worden sei. Dies würde dem Gesetzeszweck zu widerlaufen und die Frage der Zugangsberechtigung zur freiwilligen Krankenversicherung nach § 9 Abs. Satz 1 Nr. 1 SGB V, der einem besonderen, dort festgelegten Personenkreis zustehe, von dem Verwaltungshandeln und den Verwaltungsentscheidungen anderer Verwaltungsbehörden (z.B. Arbeitsgemeinschaften) abhängig machen. Auch aus dem Anlass zur Gesetzesänderung ergebe sich, dass eine Aufhebung oder Rücknahme der Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II seitens des zuständigen Leistungsträgers nicht erforderlich sei. Anlass zur Gesetzesänderung sei es gewesen, dass die Sozialämter mitunter auch Sozialhilfeempfänger in den Bezug von Alg II überführt hätten, ...

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