Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Kosten der Wahrnehmung des Umgangsrechts mit dem getrennt lebenden Kind im Ausland. Mehrbedarf wegen unabweisbarem laufenden besonderen Bedarf. Flug- und Übernachtungskosten für 4 Besuche im Jahr
Leitsatz (amtlich)
Aus § 21 Abs 6 SGB 2 kann sich unter engen Voraussetzungen ein Anspruch auf Übernahme der notwendigen Kosten des Umgangsrechts in den USA ergeben.
Orientierungssatz
Seit Inkrafttreten der Neuregelung des § 21 Abs 6 SGB 2 zum 3.6.2010 ist bei Umgangskosten ein Rückgriff auf § 73 SGB 12 nicht mehr zulässig.
Tenor
1. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Koblenz vom 29.09.2010 - S 12 SO 116/10 ER - aufgehoben und die Beigeladene verpflichtet, in der Zeit bis zum 24.05.2011 vorläufig zweimal die notwendigen Kosten des Antragstellers zur Ausübung des Umgangsrechts mit seinem Sohn C C in den Vereinigten Staaten von Amerika (Kalifornien) für einen jeweils fünftägigen Aufenthalt zu übernehmen.
2. Die Beigeladene hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für das gesamte Beschwerdeverfahren zu 2/3 zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig und überwiegend begründet. Das Sozialgericht Koblenz (SG) hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz durch Beschluss vom 29.09.2010 zu Unrecht ohne Beiladung des zuständigen Trägers der Grundsicherung vollständig abgelehnt. Der Antragsteller hat grundsätzlich einen Anspruch gegen die Beigeladene auf vorläufige Leistung der notwendigen Kosten der Ausübung des Umgangsrechts mit seinem Sohn C C in den Vereinigten Staaten von Amerika (Kalifornien) im Rahmen eines jeweils fünftägigen Aufenthaltes. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes war allerdings nur von einer Übernahme alle drei Monate auszugehen, da besondere Umstände für eine höhere Besuchsfrequenz nicht glaubhaft gemacht sind.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag, der gemäß § 86b Abs. 3 SGG bereits vor Klageerhebung zulässig ist, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Dazu sind gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit (iVm) § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung ergehen und dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache gesichert werden soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen hierbei nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr verhalten sie sich in einer Wechselbeziehung zueinander, in welcher die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt. Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -, BVerfGK 5, 237)
1. Ein Anordnungsanspruch gegen den Antragsgegner besteht deshalb nicht, weil dieser für die Erbringung der begehrten Leistungen nicht zuständig ist.
Der Antragsteller bezieht berechtigt Leitungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Gemäß § 3 Abs 3 Halbs. 2 SGB II decken die Leistungen nach dem SGB II den Bedarf der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und der mit Ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen. Sie sind also grundsätzlich abschließend. Zwar hat die Rechtsprechung in Bezug auf Kosten der Wahrnehmung des Umgangs mit Kindern zunächst einen Rückgriff auf § 73 SGB XII zugelassen, was eine Zuständigkeit des Antragsgegners begründet hätte (grundlegend BSG, Urteil vom 07.11.2006 - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1).
Dies kann jedoch seit dem 03.06.2010 nicht mehr angenommen werden, da nun und bereits vor Antragstellung beim SG am 17.09.2010 in § 21 Abs. 6 SGB II eine Regelung zur Abdeckung eines im Einzelfall unabweisbaren, laufenden und nicht nur einmaligen besonderen Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Hilfebedürftigen gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Nach der Begründung der Neuregelung sollten im Anschluss an die Entscheidung durch das BVerfG am 09.02.2010 (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 -, SGb 2010, 227) gerade auch die Kosten des Umgangsrechts erfasst sein (vgl. die Beschlus...