Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Geltung des § 85 Abs 4 S 9 SGB 5 bei Honorarrückforderungen. Kassenärztliche Vereinigung. sachlich-rechnerische Richtigstellung. Praxisgemeinschaft. Doppelbehandlung von Versicherten aus nichtmedizinischen Gründen

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 85 Abs 4 S 9 SGB 5 (keine aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen die Honorarfestsetzung) greift auch bei Honorarrückforderungen ein.

2. Eine sachlich-rechnerische Richtigstellung durch die Kassenärztliche Vereinigung kommt in Betracht, wenn zwei Ärzte in einer Praxisgemeinschaft planmäßig darauf hinwirken, dass Patienten sie in einem Quartal beide konsultieren, obwohl die Patienten von sich aus keinen Anlass dazu sehen und die Doppelbehandlung nicht aus medizinischen Gründen geboten ist.

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Mainz vom 1.3.2005 aufgehoben. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.

2. Der Antragsteller trägt die Kosten beider Instanzen.

3. Der Streitwert für beide Instanzen wird auf jeweils 8.308,70 € festgesetzt.

 

Tatbestand

1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Mainz vom 1.3.2005 aufgehoben. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.

2. Der Antragsteller trägt die Kosten beider Instanzen.

3. Der Streitwert für beide Instanzen wird auf jeweils 8.308,70 € festgesetzt.

 

Entscheidungsgründe

I. Umstritten ist, ob das Sozialgericht (SG) zu Recht die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen eine Honorarkürzung aufgrund einer Plausibilitätsprüfung hinsichtlich der Quartale III/2000 bis II/2003 angeordnet hat.

Der Antragsteller, der Allgemeinmediziner ist, ist zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in I. zugelassen. In der Zeit vom 1.7.2000 bis zum 31.12.2003 war er in Praxisgemeinschaft mit seinem Vater, Dr med B M (hausärztlicher Internist), tätig. Mit Bescheid vom 16.3.2004 machte die Antragsgegnerin auf der Grundlage einer durchgeführten Plausibilitätsprüfung eine Honorarrückforderung von 33.234.81 € für den Abrechnungszeitraum III/2000 bis II/2003 geltend. Zur Begründung hieß es: Aufgreifkriterium für die Plausibilitätsprüfung sei der hohe Anteil gemeinsamer Patienten gewesen, den der Antragsteller zusammen mit seinem Vater gehabt habe. Der Anteil gemeinsamer Patienten habe in den streitgegenständlichen Quartalen zwischen 30,07 % und 49,75 % gelegen. Für das Quartal IV/2000 sei eine Einzelfallprüfung durchgeführt worden, welche die Vermutung bestätigt habe, dass der Antragsteller mit seinem Vater Patienten “verschoben" und somit die Rechtsform der Praxisgemeinschaft missbraucht habe. Durch die gemeinsame Patientenbehandlung sei die Fallzahl beider Ärzte der Praxisgemeinschaft künstlich erhöht worden. Da die Fallzahl Grundlage für die Festlegung der Budgetgrenzen sei, hätten sich durch die erhöhten Fallzahlen höhere Budgets ergeben. Die vorgenommene Plausibilitätsprüfung erfordere keine im Einzelfall nachzuweisende Streichung einzelner Leistungen oder Fälle. Denn auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei nicht erforderlich, zur Feststellung der Fehlerhaftigkeit einer Abrechnung aufzuzeigen, welche einzeln abgerechnete Leistung nicht korrekt erbracht worden sei. Vielmehr stehe der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) ein weites Schätzungsermessen für die Honorarfestsetzung zu, wenn zumindest durch grob fahrlässige falsche Angaben die vom Vertragsarzt unterzeichnete Sammelerklärung ihre Garantiefunktion für die Korrektheit der Abrechnung verliere. Im Falle des Antragstellers könne aufgrund der praktizierten gemeinsamen Patientenbehandlung von einer bewussten Fallzahlvermehrung zur Erhöhung des Budgets bzw Reduzierung einer Budgetüberschreitung ausgegangen werden. Zur Abrechnung des Rückforderungsbetrages werde angenommen, dass ein Anteil von 15 % gemeinsamer Patienten in einer Praxisgemeinschaft nachvollziehbar sei. Diese Annahme beruhe auf einer Aufstellung aus dem Quartal IV/2000; für alle Praxisgemeinschaften im Bereich der KÄV Koblenz habe sich ein durchschnittlicher Anteil an gemeinsamen Patienten von 19 % ergeben; in diese Aufstellung seien auch die Praxisgemeinschaften mit fachübergreifenden Praxen, die einen höheren Anteil an gemeinsamen Patienten aufweisen könnten, und auch die Praxen, die nicht nachvollziehbare extrem hohe Anteile gemeinsamer Patienten aufwiesen, mit einbezogen gewesen. Eine weitere Zusammenstellung für das Quartal III/2003 bestätige diese Feststellung; über alle Praxisgemeinschaften ergebe sich ein Anteil an gemeinsamen Patienten in Höhe von ca 16 %. Da die Praxisgemeinschaft des Antragstellers und seines Vaters aus einem Allgemeinmediziner und einem hausärztlich tätigen Internisten bestehe und somit kein wesentlich erhöhter Anteil gemeinsamer Patienten gerechtfertigt sein könne, sei die vorgenommene Anerkennung von 15 % gemeinsamer Patienten sachgerecht. Um ...

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