Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. Versorgungsmedizinische Grundsätze. Adrenogenitales Syndrom mit Salzverlust. Merkzeichen H. Hilflosigkeit. Beurteilung bei Kindern. keine Übertragung der Grundsätze für Diabetes mellitus. GdB-Feststellung. Orientierung an den Grundsätzen für Diabetes mellitus

 

Leitsatz (amtlich)

Die versorgungsmedizinischen Grundsätze zur Beurteilung der Hilflosigkeit bei an Diabetes mellitus erkrankten Kindern und Jugendlichen sind nicht übertragbar auf Kinder, die an einem Adrenogenitalem Syndrom (AGS) mit Salzverlust erkrankt sind.

 

Orientierungssatz

Dies gilt auch dann, wenn die AGS-Erkrankung an anderer Stelle, und zwar bei der Bewertung des Grads der Behinderung (GdB), mangels Vorgaben in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen einen Rückgriff auf die Ausführungen zum Diabetes mellitus notwendig macht (entgegen LSG Celle-Bremen vom 25.5.2016 - L 13 SB 87/15).

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 27.04.2016 wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Widerspruchsverfahren und in der 1. Instanz zu 1/3. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 60 sowie den Nachteilsausgleich “H“ (Hilflosigkeit).

Bei dem am … 2013 geborenen Kläger wurde wenige Tage nach der Geburt ein klassisches Adrenogenitales Syndrom (AGS) mit Salzverlust diagnostiziert. Bereits am 21.03.2013 wurde mit der Therapie mit Hydrocortison bzw. Fludrocortison (Astonin H) begonnen. Am 29.03.2013 konnte die am 20.03.2013 begonnene stationäre Behandlung beendet werden. In der Folgezeit erfolgte eine engmaschige Kontrolle der Blutwerte. Ab Juni 2013 erfolgte diese Kontrolle in Dreimonatsabständen. Zu diesem Zeitpunkt traten zunächst keine Probleme auf, insbesondere war eine “Stressdosis“, das heißt eine Erhöhung der Medikamentation in Stresssituationen, nicht erforderlich. Im Zeitraum vom 16.04.2014 bis zum 22.04.2014 wurde der Kläger wegen einer akuten Gastroenteritis durch Rotaviren stationär aufgenommen. Eine Infusionstherapie mit Glucose-Elektrolytlösung wurde über vier Tage durchgeführt (zunächst zwei Tage, dann nach Pause bei zweitem Gipfel der Gastroenteritis mit zunehmenden Durchfällen wieder aufgenommen). Eine zusätzliche Elektrolytsubstitution war zu keiner Zeit nötig. Die Gabe von Hydrocortison musste über eineinhalb Tage wegen Fieber verdreifacht werden. Danach konnte zur regulären Dosierung zurückgekehrt werden (Entlassungsbrief vom 05.05.2014 des St. M - und St. A - Klinik für Kinder- und Jugendmedizin -, L a R , Privatdozent Dr. M und Frau Dr. K ).

Am 26.03.2014 beantragte der Kläger über seine Eltern als gesetzliche Vertreter bei dem Beklagten die Feststellung einer Behinderung nach § 69 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) unter Vorlage eines Berichts des St. M - und St. A , L a R , vom 28.10.2013. Der Beklagte zog weitere Berichte des Krankenhauses vom 21.06.2013, 14.09.2013, 17.01.2014 und 05.05.2014 bei. Nach Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme seines Ärztlichen Dienstes, Dr. G , vom 23.05.2014 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 27.05.2014 den Antrag ab, da die von dem Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen keinen GdB von wenigstens 20 bedingten.

Hiergegen legte der Kläger am 11.06.2014 Widerspruch ein und bezog sich dabei auf einen vorläufigen Entlassungsbrief des St. M - und St. A vom 22.04.2014 betreffend den stationären Aufenthalt vom 16.04. bis zum 22.04.2014 sowie ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachen-Bremen vom 03.05.2006 (L 9 SB 45/03).

Dr. S vom Ärztlichen Dienst des Beklagten empfahl daraufhin in einer gutachtlichen Stellungnahme vom 06.07.2014 ohne nähere Begründung die Feststellung eines GdB von 60 sowie des Nachteilsausgleichs “H“ bei einer Nachuntersuchung am 01.03.2031.

Mit Datum vom 01.08.2014 nahm Dr. L vom Ärztlichen Dienst des Beklagten gutachtlich Stellung und empfahl weiterhin einen GdB von 10. Die vorgelegte Entscheidung aus Niedersachsen von 2006 widerspreche den Einlassungen des ärztlichen Sachverständigenbeirats von 1996, welcher damals zu dem Ergebnis gekommen war, dass das Krankheitsbild eines AGS mit Salzverlust bei Weitem nicht dem eines Diabetes mellitus Typ I entspreche. Es müssten über den Tag verteilt mehrere Tabletten gegeben werden, sonst sei nichts zu veranlassen. Die Kinder entwickelten sich dann auch regelrecht. Jungen würden sich unter der genannten Therapie auch hinsichtlich ihres Geschlechts normal entwickeln.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers schaltete sich in das Verfahren ein und begründete den Widerspruch des Klägers nach Akteneinsicht ergänzend dahingehend, dass die Rechtsprechung zum Diabetes mellitus vorliegend nicht anwendbar sei. Beide Leidensbilder seien nicht vergleichbar. Die Anhaltspunkte 1996 und 2004 hätten keine Bedeutung mehr, nachdem mittlerweile die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom...

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