Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Pflegeversicherung. Beitragszuschlag für Kinderlose. nichteheliche Lebensgemeinschaft. Stiefelternbegriff. Privilegierung der Ehe. Verfassungsmäßigkeit)
Orientierungssatz
1. Der Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, der Kinder seiner Partnerin, die nicht gleichzeitig seine eigenen Kinder sind, im gemeinsamen Haushalt mit erzieht, ist nicht Elternteil im Sinne des § 55 Abs 3 S 2 SGB 11 in Verbindung mit § 56 Abs 1 S 1 Nr 3 und Abs 3 Nr 2 und 3 SGB 1 und deshalb nicht vom Beitragszuschlag für Kinderlose in der Pflegeversicherung befreit.
2. Die Ausgestaltung des Gesetzes, wonach ein Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, soweit es sich nicht um eine eingetragene Lebenspartnerschaft handelt, in Bezug auf die Eigenschaft als Stiefelternteil einem Ehepartner nicht gleichgestellt ist, verstößt nicht gegen Art 3 Abs 1 GG.
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 2.2.2015 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Umstritten ist ein Anspruch auf Erstattung des Beitragszuschlags für Kinderlose nach § 55 Abs 3 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) als Bestandteil des Beitrags zur sozialen Pflegeversicherung.
Der Kläger lebte in den Jahre 1996 bis 2013 mit seiner früheren Lebensgefährtin und deren leiblichen Kindern (1991 geborener Sohn, 1994 geborene Tochter) zusammen. Er trug zur Erziehung und zum Unterhalt der Kinder bei. In der Zeit vom 1.10.2006 bis zum 31.12.2011 war er bei der Beklagten pflegeversichert. Sein Arbeitgeber führte für ihn in diesem Zeitraum im Rahmen der Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge den für Kinderlose im Vergleich zu Elternteilen um 0,25 Prozent erhöhten Beitrag zur sozialen Pflegeversicherung ab. Unter dem 4.2.2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Rückzahlung des geleisteten Beitragszuschlags für Kinderlose für die Jahre 2006 bis 2011, da die beiden Kinder seiner früheren Lebensgefährtin in seinem Haushalt gelebt hätten. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 29.4.2014 und Widerspruchsbescheid vom 31.7.2014 (zugestellt am 6.8.2014) ab, da der Kläger nicht Stiefvater der Kinder seiner früheren Lebensgefährtin und daher gemäß § 55 Abs 3 Satz 1 SGB XI zur Entrichtung des Beitragszuschlags für Kinderlose verpflichtet gewesen sei.
Mit seiner am 1.9.2014 erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Durch Urteil vom 2.2.2015 hat das Sozialgericht (SG) Mainz die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Ab dem 1.1.2005 habe sich gemäß § 55 Abs 3 Satz 1 SGB XI der nach Abs 1 dieser Vorschrift geltende Beitragssatz zur sozialen Pflegeversicherung um 0,25 Beitragssatzpunkte erhöht. Der Beitragszuschlag gelte nach § 55 Abs 3 Satz 2 SGB XI nicht für Eltern im Sinne des § 56 Abs 1 Satz 1 Nr 3 und Abs 3 Nr 2 und 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), ua Stief- und Pflegeeltern. Die Eigenschaft als Stiefelternteil setze nach dem herkömmlichen Rechtsverständnis die Ehe mit dem Vater oder der Mutter des Kindes voraus (Hinweis auf Bundesverfassungsgericht -BVerfG- 10.12.2004 -1 BvR 2320/98; Landessozialgericht - LSG- Berlin-Brandenburg 23.1.2008 - L 16 R 1055/07; Seewald in Kasseler Kommentar, § 56 SGB I Rn 12). Zwar verwendeten die Bundesregierung und Landesregierungen in ihrer Familienberichterstattung sowie die Forschung einen erweiterten Stiefelternbegriff, wonach auch bei nicht verheirateten Paaren der eine Teil Stiefelternteil sein könne. Diese gesellschaftliche Entwicklung habe jedoch bisher, soweit ersichtlich, nur das Sozialgericht (SG) Kassel nachvollzogen (26.3.2008 - S 7 R 578/05). Es könne offenbleiben, ob dem zu folgen sei. Denn bejahendenfalls hätte der Kläger seinerzeit seinem Arbeitgeber gegenüber nach § 55 Abs 3 Satz 3 SGB XI die Voraussetzungen der Eigenschaft als Elternteil darlegen und nachweisen müssen. Daran fehle es vorliegend.
Gegen dieses ihm am 5.3.2015 zugestellte Urteil richtet sich die am 24.3.2015 eingelegte Berufung des Klägers, der vorträgt: Die beiden Kinder seiner früheren Lebensgefährtin seien von ihm wie eigene Kinder aufgezogen worden. Beide sagten heute noch “Papa„ zu ihm, obwohl sich deren Mutter von ihm getrennt habe. Seinem früheren Arbeitgeber seien die für die “Befreiung„ vom Beitragszuschlag für Kinderlose zu erfüllenden Umstände bekannt gewesen; der Arbeitgeber habe lediglich die Rechtslage falsch bewertet. Er stütze sich auf das Urteil des SG Kassel vom 26.3.2008 (aaO) und das Urteil des SG Mainz vom 21.4.2015 (S 14 P 39/14).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Mainz vom 2.2.2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29.4.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.7.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm den für den Zeitraum vom 1.10.2006 bis zum 31.12.2011 von seinem Arbeitgeber abgeführten Beitragszuschlag für Kind...