Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bildung und Teilhabe. Schülerbeförderungskosten. Besuch der nächstgelegenen Schule des gewählten Bildungsgangs. Begriff des Bildungsgangs. Besuch eines Sportgymnasiums. kein eigenständiger Bildungsgang
Leitsatz (amtlich)
1. Der Begriff "gewählter Bildungsgang" nach § 28 Abs 4 S 1 SGB 2 ist bereichsspezifisch nach dem Gesetzeskontext, der Historie der Vorschrift sowie nach deren Sinn und Zweck zu bestimmen. Er geht inhaltlich über den schulartbezogenen Begriff des Bildungsgangs nach §§ 9 Abs 2, 69 Abs 1 SchulG RP 2004 hinaus.
2. Die Regelungen der Bedarfe für Bildung und Teilhabe dienen der Ermöglichung einer begabungsgerechten Schulbildung und dadurch mittelbar der Vorbereitung auf das Erwerbsleben und der Befähigung der leistungsberechtigten Schüler zur Erarbeitung ihres eigenen Lebensunterhalts. Die Entscheidung der Eltern, aus dem bestehenden differenzierten Angebot mehrerer Schulen eines Bildungsgangs für ihre Kinder eine neigungs- und begabungsspezifische Variante auszuwählen, muss daher grundsätzlich auch im Hinblick auf dadurch entstehende Schülerbeförderungskosten respektiert werden.
3. Ein Sportgymnasium ohne besonderen schulischen Schwerpunkt, dessen Aufgabe nach seiner Konzeption darin besteht, seinen Schülern eine allgemeine Schulbildung neben einer Karriere im Hochleistungssport zu sichern, stellt keinen an den besonderen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler orientierten Bildungsgang dar.
Normenkette
SGB II § 28 Abs. 4 Sätze 1-2; SchulG RP 2004 § 9 Abs. 2, § 69 Abs. 1; Verf RP Art. 40 Abs. 4
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 20. November 2014 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger verfolgt einen Anspruch auf Erstattung von Schülerfahrtkosten für das Schuljahr 2013/2104.
Der am …2002 geborene Kläger bezog als Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft mit seinem Vater und seinen Geschwistern in den Monaten August bis November 2013 und Februar bis Juli 2014 ergänzende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - SGB II - (Bescheid vom 04.02.2013, geändert durch Bescheid vom 09.08.2013, und weiterer Bescheid vom 09.08.2013, geändert durch Bescheid vom 24.01.2014, sowie Bescheid vom 24.01.2014, geändert durch Bescheid vom 22.05.2014). Für Dezember 2013 und Januar 2014 bewilligte der Beklagte ihm keine Leistungen, da sein Bedarf in diesen Monaten wegen nicht anfallender Heizkosten um 20,76 € bzw 14,76 € niedriger war als sein Einkommen aus Halbwaisenrente, Unterhalt und Kindergeld.
In der Nähe der Wohnung des Klägers befinden sich ua das A -Gymnasium (900 m bei einem ungefährlichen Fußweg von etwa 10 bis 13 Minuten) und das Gymnasium am R (1,3 km, ungefährlicher Fußweg von ca 15 Minuten). Das A -Gymnasium hat einen musikalischen Schwerpunkt. Alle Schülerinnen und Schüler der 5. und 6. Klassen haben drei Stunden Musik pro Woche, dh eine zusätzliche Musikstunde. Ab der 7. Klasse können sie freiwillig an musikalischen Intensivkursen teilnehmen. Als erste Fremdsprache kann Englisch oder Latein gewählt werden. Das Gymnasium am R bietet als 1. Fremdsprache in der 5. Klasse Englisch oder Französisch an. Die Schüler, die Englisch als 1. Pflichtfremdsprache wählen, können sich in der 6. Klasse für Französisch oder Latein als 2. Fremdsprache entscheiden. Seit 2002 verfügt das Gymnasium am R über einen MINT-Schwerpunkt (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). Ab der 5. Klasse wird an der Schule MINT als Wahlpflichtfach in Kleingruppen von 10-12 Schülerinnen und Schülern unterrichtet.
Der Kläger besuchte im Schuljahr 2012/2013 das H -Gymnasium (HHG) in K, Im D. Der Fußweg von der Wohnung des Klägers zur Schule ist ca 3,6 km lang, die Gehzeit etwa 45 Minuten. Der Weg führt über innerstädtische Hauptverkehrsstraßen und beinhaltet eine längere Bahnunterführung in der Nähe des Hauptbahnhofs K sowie die Überquerung zweier Zufahrtsstraßen zu einem Kreisverkehr ("L" oder "E -Kreisel"), über die insbesondere in den Morgenstunden starker Autoverkehr fließt. Die Überquerungen sind nicht durch Lichtzeichenanlagen oder markierte Überwege für Fußgänger oder Fahrradfahrer gesichert. Die möglichen Fahrtwege von der Wohnung des Klägers zur Schule führen nur zu einem geringen Teil über Radwege, ansonsten sind die Wege in der Datenbank "Google Maps" zum Teil als für Radfahrer "geeignete Straßen", zum anderen Teil, insbesondere auf dem letzten Teilstück zur Schule, nicht als für das Fahrrad geeignete Straßen gekennzeichnet.
Das HHG steht in Trägerschaft des Landes Rheinland-Pfalz. Es verfügt über einen von Klasse 5 bis 13 geführten Sportzweig. Das Angebot richtet sich nach den auf der Internetseite der Schule veröffentlichten Informationen an sportlich talentierte Schülerinnen und Schüler, die an ...