Entscheidungsstichwort (Thema)

Rente wegen voller Erwerbsminderung. außergerichtlicher Vergleich. wesentliche Besserung der gesundheitlichen Verhältnisse. Bindungswirkung

 

Orientierungssatz

1. Ist ein außergerichtlicher Vergleich in Bezug auf die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente mit der Versicherten geschlossen worden, ist der Rentenversicherungsträger an dessen Inhalt und dem hierzu erlassenen Ausführungsbescheid gebunden, wenn der nicht unwahrscheinliche Fall eintritt, dass die gesundheitlichen Verhältnisse - hier durch eine Hüftoperation - sich wesentlich bessern.

2. Auch aus der Entscheidung des BSG vom 10.10.1978 - 7 RAr 56/77 = SozR 4100 § 151 Nr 10 - lässt es sich nicht herleiten, dass es möglich sein soll, die Bindungswirkung einer den Prozess beendenden Vereinbarung durch Aufhebung eines hierzu ergangenen Ausführungsbescheides zu beseitigen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 06.05.2010; Aktenzeichen B 13 R 16/09 R)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 24.1.2006 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit der Entziehung einer gewährten Rente streitig.

Die 1951 in Kirgisien (ehemalige UdSSR) geborene Klägerin war nach ihrer Aussiedlung im Jahr 1993 in die Bundesrepublik Deutschland von 1994 bis 1996 als Raumpflegerin tätig. Danach war sie arbeitslos.

Im Rahmen eines vorangegangenen Rechtstreits vor dem Sozialgericht (SG) Koblenz (S 1 RI 432/02) "erkannte" die Beklagte mit Schriftsatz vom 13.6.2003 einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit auf der Grundlage eines Leistungsfalles vom 2.7.2002 für die Zeit vom 1.2.2003 bis zum 31.1.2005 an. Grundlage hierfür war ein Gutachten von Dr. H vom Mai 2003, welches zu dem Ergebnis gelangt war, dass die Klägerin wegen ihrer Dysplasie-Coxarthrose rechts nur noch in der Lage sei, 3-4 Stunden am Tag zu arbeiten. Nach einer für Sommer 2003 geplanten hüftendoprothetischen Versorgung des Gelenkes werde sich die Erwerbsfähigkeit wieder bessern.

Die Klägerin nahm das Angebot der Beklagten mit Schreiben vom 8.7.2003, eingegangen bei Gericht am 9.7.2003, an und erklärte den Rechtsstreit im übrigen für erledigt.

Die Beklagte erließ am 24.7.2003 einen sog. Ausführungsbescheid und gewährte monatlich eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 47,69 Euro netto.

Die am 20.6.2003 im Katholischen Klinikum K durchgeführte Hüftoperation verlief komplikationslos, so dass die Klägerin nach Abschluss der Anschlussheilbehandlung in B-K vom 8.7.2003 bis 5.8.2003 ausweislich des Entlassungsberichts vom August 2003 wieder imstande war, leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten im Wechsel der Körperhaltungen, jedoch überwiegend im Sitzen, in einem Umfang von mindestens 6 Stunden und mehr zu verrichten.

Nach Anhörung der Klägerin mit Schreiben vom 23.10.2003 entzog die Beklagte mit Bescheid vom 24.11.2003 die gewährte Rente mit Ablauf des 31.12.2003. Zur Begründung führte sie aus, nach Durchführung der Totalendoprothesenoperation liege eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse vor, so dass von einer wiedererlangten Gehfähigkeit ausgegangen werden könne. Eine Erwerbsminderung liege nicht mehr vor.

Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte ein orthopädisches Gutachten von Dr. M ein. Dieser gelangte in seinem Gutachten vom Februar 2004 zu dem Ergebnis, dass die Klägerin leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit zum Haltungswechsel 6 Stunden und mehr zu ebener Erde, ohne Zwangshaltungen, ohne Überkopfarbeiten und häufiges Bücken verrichten könne. Zu vermeiden sei das Heben und Tragen schwerer und mittelschwerer Lasten sowie Stressbelastungen, Zeitdruck und Akkordarbeit. Publikumsverkehr sei nur eingeschränkt möglich.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.4.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Die Klägerin hat am 7.5.2004 Klage zum SG Koblenz erhoben.

Sie hat die Ansicht vertreten, nach wie vor voll erwerbsgemindert zu sein. Im übrigen sei die Beklagte nicht befugt gewesen, die Rente zu entziehen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, dass sie berechtigt gewesen sei, die Rente nach Eintritt einer Besserung in den tatsächlichen Verhältnissen zu entziehen. Ein Verwaltungsakt, der aufgrund eines Anerkenntnisses erteilt worden sei, könne nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auch ohne vorherige Beseitigung des Anerkenntnisses aufgehoben werden. Er könne keinen größeren Schutz genießen als ein auf einem Urteil beruhender Verwaltungsakt. Für den Fall, dass das Anerkenntnis als öffentlich-rechtlicher Vertrag zu qualifizieren sei, könne dieser nicht nur nach § 59 SGB X gekündigt, sondern auch nach § 202 SGG i.V.m. § 323 ZPO aufgehoben werden. Hilfsweise werde Widerklage mit dem Ziel erhoben, das angenommene Anerkenntnis aus dem Vorprozess S 1 RI 432/02 zum 1.1.2004 "aufzuheb...

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