Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Genehmigungsfiktion. Naturalleistungsanspruch des Versicherten auf die Versorgung mit einem Arzneimittel. Off-label-use. - siehe dazu anhängiges Verfahren beim BSG: B 1 KR 9/18 R
Orientierungssatz
Eine mit Ablauf der Frist eingetretene Genehmigungsfiktion begründet einen Naturalleistungsanspruch des Versicherten auf die Versorgung mit einem Arzneimittel (hier: im Rahmen des Off-label-use) (vgl BSG vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R = SozR 4-2500 § 13 Nr 36 und BSG vom 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R = BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33).
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Speyer vom 05.09.2017 wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel Fampyra als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung hat.
Der 1943 geborene Kläger ist bei der Beklagten als Rentner krankenversichert. Mit am 24.02.2016 bei der Beklagten eingegangenem Attest vom 22.02.2016 beantragte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. für den Kläger die Versorgung mit Fampyra zur Behandlung der beim Kläger bei kernspintomographisch nachgewiesener Kleinhirnatrophie bestehenden cerebellären Ataxie im off-label-use. Dr. B. führte aus, in therapeutischer Hinsicht werde regelmäßig Physiotherapie mit aktiven koordinationsfördernden Übungen durchgeführt. Eine symptomatische Therapie sei bei der seltenen cerebellären Ataxie nicht etabliert. In Einzelfällen gebe es Hinweise für eine Wirksamkeit von Fampyra , ein Arzneimittel zur Behandlung der Gangstörung bei Multipler Sklerose. Beim Kläger habe ein im Wege der Privat-Medikation unternommener Therapieversuch mit Fampyra zu einer deutlichen Besserung der Gangstörung geführt, so dass um Kostenzusage gebeten werde. Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 26.02.2016 mit, dass sie ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) angefordert habe. Der MDK bat Dr. B. um ergänzende Angaben zum Krankheitsverlauf, zur bisherigen Therapie und zum beabsichtigten Einsatz von Fampyra . Mit Schreiben vom 07.03.2016 gab der MDK den Begutachtungsauftrag zunächst an die Beklagte zurück, nachdem eine Beantwortung der Anfrage innerhalb angemessener Frist unterblieben war. Die Beklagte unterrichtete den Kläger daraufhin mit Schreiben vom 09.03.2016, dass mangels Vorlage der erforderlichen medizinischen Unterlagen der Antrag derzeit nicht bearbeitet werden könne; eine erneute Überprüfung könne nach Eingang der angeforderten Unterlagen erfolgen. Unter dem 24.03.2016 (Eingang bei der Beklagten wohl am 07.04.2016) beantwortete Dr. B. die Anfrage des MDK und legte weitere medizinische Unterlagen über den Kläger vor. Die Beklagte beauftragte den MDK am 08.04.2016 mit der Durchführung der Begutachtung. Der Arzt im MDK Dr. W. führte mit Gutachten vom 26.04.2016 aus, der off-label-use von Fampyra bei einer wahrscheinlich äthyltoxischen cerebellären Ataxie sei experimentell. Eine Empfehlung werde in den aktuellen Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaft nicht ausgesprochen, randomisierte und kontrollierte Studien zum Einsatz des Medikamentes bei cerebellärer Ataxie gebe es nicht. Es handele sich nicht um eine potenziell lebensbedrohliche, jedoch um eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung, die häufig progredient verlaufe. Eine pharmakologische Therapie sei nicht verfügbar. Eine multimodale Therapie unter Einschluss von präventiven Maßnahmen (Alkoholkarenz, Behandlung von Begleiterkrankungen), Substitution und Therapie mit Vitaminen (Vitamin B1) sowie regelmäßige und fachgerechte Physiotherapie und adäquate Versorgung mit Hilfsmitteln, gegebenenfalls auch ambulante oder stationäre Rehabilitationsmaßnahmen, seien möglich. Zu einem möglichen Behandlungserfolg beim Einsatz des Medikaments Fampyra könne aufgrund der aktuellen Datenlage der wissenschaftlichen Erkenntnisse keine verlässliche Aussage getroffen werden. Mit Bescheid vom 17.05.2016 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers daraufhin ab, weil die Voraussetzungen eines off-label-use nicht gegeben seien. Im Widerspruchsverfahren veranlasste sie ergänzende Begutachtungen durch die Ärztin im MDK Dr. L. vom 22.09.2016 und 11.11.2016, die die bisherige Beurteilung bestätigte. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.01.2017 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gestützt hierauf zurück.
Am 09.02.2017 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Speyer (SG) erhoben. Er hat geltend gemacht, sein Leistungsantrag sei aufgrund Eintritts der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) begründet. Die Beklagte hat eingewandt, nach zutreffender instanzgerichtlicher Rechtsprechung greife die Genehmigungsfiktion nur dann ein,...