Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Wirtschaftlichkeitsprüfung. Hemmung der Ablauffrist. Vorliegen einer Praxisbesonderheit
Leitsatz (amtlich)
Die vierjährige Ablauffrist für Wirtschaftlichkeitsprüfungen im Vertragsarztrecht wird trotz der Entbehrlichkeit eines Prüfantrages durch einen solchen gehemmt, wenn dem Vertragsarzt die Einleitung des Prüfverfahrens bekanntgegeben wird.
Orientierungssatz
Im Rahmen einer Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise sind Praxisbesonderheiten nur solche aus der Zusammensetzung der Patienten herrührenden Umstände, die sich auf das Verordnungsverhalten des Arztes auswirken und in den Praxen der Vergleichsgruppe typischerweise nicht oder nicht in derselben Häufigkeit auftreten. Dabei haben die Prüfinstanzen der Frage, ob eine Praxisbesonderheit vorliegt, nur nachzugehen, wenn ihnen vor ihrer Entscheidung Anhaltspunkte hierfür vorliegen; insoweit trägt der Vertragsarzt eine Darlegungslast.
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Beigeladenen zu 2 wird das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 30.9.2009 geändert. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten beider Rechtszüge einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten der Beigeladenen nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Umstritten ist noch die Rechtmäßigkeit eines Arzneimittelregresses hinsichtlich des Quartals II/2001 (in Höhe von 6.430,17 €).
Die Klägerin ist eine aus zwei Ärzten bestehende Gemeinschaftspraxis. Die statistischen Daten bezüglich des og Quartals stellen sich wie folgt dar:
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Arzneikostendurchschnitt Arzt DM/Fall |
Arzneikostendurchschnitt Fachgruppe DM/Fall |
Abweichung % |
M F R Gesamt nach Gewichtung |
145,16 104,47 543,28 249,16 |
102,13 65,52 299,54 151,04 150,15 |
+ 42 + 59 + 81 + 65 + 66 |
Der Prüfungsausschuss verhängte gegen die Klägerin mit Bescheid vom 15.11.2005 (der Klägerin per Einschreiben/Rückschein zugestellt am 16.11.2005) wegen unwirtschaftlicher Verordnung von Arzneimitteln im Quartal II/2001 einen Honorarregress in Höhe von 8.998,09 €. Durch Bescheide vom 8.12.2006 ordnete er für die Quartale IV/2002 und I-IV/2003 Regresse an. Zur Begründung ihrer hiergegen eingelegten Widersprüche machte die Klägerin ua für einzelne Behandlungsfälle einen außerordentlichen Arzneimittelbedarf geltend. Der Beklagte setzte mit Bescheiden vom 2.7.2007 den Regress für das Quartal II/2001 auf 6.430,17 € und für das Quartal IV/2003 auf 765,47 € fest; im Übrigen gab er den Widersprüchen der Klägerin statt. Zur Begründung führte er ua aus: Die Fallzahl der Klägerin habe in den geprüften Quartalen zwischen 33 und 39 vH unter dem Durchschnitt der Fachgruppe gelegen. Der Rentneranteil sei meistens überdurchschnittlich gewesen. Die Ärzte der Klägerin hätten sich bereits 1986 bzw 1996 niedergelassen, weshalb anzunehmen sei, dass sie überwiegend ihnen bekannte Patienten behandelten. Es handele sich im Wesentlichen um einen mit dem Durchschnitt der Fachgruppe vergleichbaren Patientenstamm mit für allgemeinärztliche Praxen typischen Erkrankungen. In den Quartalen II/2001 und IV/2003 sei jeweils ein fachgebietsuntypischer Behandlungsfall mit hohem Arzneimittelbedarf als Praxisbesonderheit herauszurechnen. Die übrigen von der Klägerin angeführten Fälle seien nicht als Praxisbesonderheit berücksichtigungsfähig, da vergleichbare Fälle in allgemeinärztlichen Praxen normalerweise ebenso häufig wie bei der Klägerin vorkämen. Nach Gewichtung des Rentneranteils und Herausrechnung der beiden fachgebietsuntypischen Behandlungsfälle verbleibe eine Abweichung gegenüber dem Durchschnitt der Fachgruppe im Quartal II/2001 von 63 vH (gewichtet) und im Quartal IV/2003 von 52 vH (gewichtet). Die Überschreitung liege im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses. Auffällig sei die häufige Verordnung von Originalpräparaten und vereinzelt von Medikamenten aus kritisch zu bewertenden Indikationsgruppen sowie die gleichzeitige Verordnung von Analgetika/Antirheumatika topisch (lokal) und systemisch. Die verordneten Mengen seien zum Teil auffällig hoch. Mineralstoffpräparate seien verordnet worden, ohne dass die in den Arzneimittelrichtlinien dafür bestimmten Voraussetzungen erfüllt seien. Kompensatorische Einsparungen seien weder dargelegt worden noch sonst ersichtlich. Die Klägerin werde hinsichtlich des den Fachgruppendurchschnitt um mehr als 50 vH überschreitenden Betrages in Regress genommen.
Die Klägerin hat ihr Begehren mit ihrer am 16.7.2007 erhobenen Klage weiterverfolgt und erstinstanzlich vorgetragen: Zu beanstanden sei, dass sie vor der Festsetzung des Regresses nicht beraten worden sei. Sie sei nicht mit dem Durchschnitt der allgemeinärztlichen Praxen der früheren Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) Pfalz vergleichbar, da die Zahl ihrer Behandlungsfälle mit 320 bzw 360 pro Quartal und Arzt erheblich unterdurchschnittlich gewesen sei. Zudem habe s...