Entscheidungsstichwort (Thema)

Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben. zweiter elektrischer Rollstuhl ausschließlich für den Ausbildungsplatz kein Hilfsmittel der medizinischen Rehabilitation

 

Orientierungssatz

Benötigt und benutzt ein gehbehinderter Mensch einen zweiten elektrischen Rollstuhl ausschließlich an dem konkreten Ausbildungsplatz, ohne dass er notwendig wäre, um überhaupt eine berufliche Tätigkeit ausüben zu können, so handelt es sich nicht um ein Hilfsmittel der medizinischen Rehabilitation iS von § 33 SGB 5, sondern die Kosten sind nach §§ 97, 109 SGB 3 iVm § 33 SGB 9 als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu übernehmen.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 19.10.2007; Aktenzeichen B 11a AL 169/06 B)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin ein Anspruch auf Versorgung mit einem zweiten elektrischen Rollstuhl zusteht.

Die 1987 geborene und bei der Beigeladenen krankenversicherte Klägerin leidet an einer spinalen Muskelatrophie Typ III mit chronisch progredientem Verlauf. Sie ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Von der Beigeladenen wurde sie mit einem mechanischen Aktiv-Rollstuhl und mit einem elektrischen Rollstuhl ausgestattet. Vom Amt für soziale Angelegenheiten L sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 sowie die Nachteilsausgleiche "G" und "aG" festgestellt.

Nach dem Abschluss der Realschule nahm die Klägerin zum 01.08.2003 eine dreijährige Berufsausbildung zur Verwaltungsfachangestellten bei der Kreisverwaltung Bad D auf. Sie benötigt auf Grund der unzureichenden Kraft ihrer Arme auch in den behindertengerecht ausgestatteten Räumen der Kreisverwaltung einen elektrischen Rollstuhl. Die Berufsschule kann die Klägerin mit einem Taxi und ihrem Aktiv-Rollstuhl erreichen. Zuhause benötigt sie keinen elektrischen Rollstuhl.

Auf ihren Antrag vom 01.08.2003 auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bewilligte ihr die Beklagte für die Dauer der Ausbildung einen Zuschuss durch Übernahme der Kosten für die Beförderung zwischen Wohnung und Ausbildungsort, abzüglich einer Eigenbeteiligung von 0,13 € je Kilometer (Bescheid vom 25.08.2003). Die Klägerin und ihr Aktiv-Rollstuhl werden mit einem Taxi zur Kreisverwaltung und zurück transportiert. An Kosten für eine Hin- und Rückfahrt (5,2 km) werden der Klägerin vom Transportunternehmen insgesamt 6,50 € in Rechnung gestellt. Ihren elektrischen Rollstuhl deponierte sie in den Räumen der Kreisverwaltung.

Mit einer Verordnung des Dr. W vom 01.08.2003 und eines Kostenvoranschlags der M GmbH (E-fix-Antrieb für einen weiteren Aktiv-Rollstuhl für insgesamt 9.026,76 €) beantragte die Klägerin bei der Beigeladenen die Versorgung mit einem zweiten elektrischen Rollstuhl. Die Beigeladene leitete diesen Antrag an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) weiter, die der Klägerin mit Schreiben vom 10.09.2003 mitteilte, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Sie gab die Unterlagen an die Beklagte ab.

Mit Bescheid vom 10.09.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.2003 lehnte die Beklagte eine Versorgung mit einem elektrischen Rollstuhl ab. Das Hilfsmittel werde nicht zum Ausgleich einer Behinderung für einen bestimmten Ausbildungsplatz benötigt, sondern allgemein bei jeder Form der Berufsausbildung.

In einem Verfahren auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz hat das Sozialgericht (SG) Speyer (S 10 ER 130/03 AL) die Beklagte durch Beschluss vom 19.12.2003 verpflichtet, die Kosten für die Beschaffung eines E-fix-Rollstuhls zu übernehmen. Die Beklagte sagte daraufhin (Schreiben vom 30.12.2003) eine Übernahme der Kosten in Höhe von 9.026,76 € zu. Der Rollstuhl wurde der Klägerin am 17.01.2004 ausgeliefert. Die Beklagte meldete am 22.06.2005 einen Erstattungsanspruch gegenüber der Beigeladenen an.

Das SG hat die Barmer Ersatzkasse beigeladen und am 15.06.2005 die Klägerin gehört. Mit Urteil vom 15.06.2005 hat es die Beigeladene verurteilt, die Kosten der Klägerin für die Beschaffung eines zweiten E-fix-Rollstuhls zu übernehmen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die Leistungspflicht der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung richte sich danach, ob das Hilfsmittel deshalb notwendig sei, damit der behinderte Mensch überhaupt eine sinnvolle berufliche Tätigkeit oder Ausbildung absolvieren könne. Handele es sich dagegen um einen Gegenstand, der ausschließlich für Verrichtungen bei einer bestimmten Tätigkeit oder Berufsausbildung benötigt werde, diene er nicht mehr der Befriedigung von Grundbedürfnissen und eröffne die Leistungspflicht der Beklagten. Dem Grundbedürfnis der Klägerin auf Gewährung der Möglichkeit einer Berufsausbildung sei allein durch die Versorgung mit einem elektrischen Rollstuhl für den häuslichen Bereich noch nicht abschließend Rechnung getragen. Der Klägerin sei es nicht möglich, mit dem vorhandenen elektrischen Rollstuhl irgendeinen Ausbildungsplatz zu erreichen. Ein täglicher Sondertransport sei nicht kostengünstiger und werde am Wohnort der Klägerin au...

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