Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Voraussetzung für Leistungspflicht nach den Grundsätzen des Off-Label-Use. keine Kostenübernahme von Ilomedin bei sekundärer pulmonaler Hypertonie. Nichtanwendung der BSG-Rechtsprechung zur seltenen Erkrankung
Orientierungssatz
1. Eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nach den Grundsätzen zum "Off-Label-Use" setzt voraus, dass
a) es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht,
b) keine andere Therapie verfügbar ist und
c) aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder die Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb des Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und auf Grund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (vgl BSG vom 19.3.2002 - B 1 KR 37/00 R = BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8).
2. Zum Zeitpunkt des Einsatzes von Ilomedin (hier: 17.11.2001 - 19.3.2002) lagen keine ausreichenden medizinischen Forschungsergebnisse vor, die eine begründete Aussicht eines Behandlungserfolges bei einer sekundären pulmonalen Hypertonie belegen konnten. In diesem Zusammenhang genügt es nicht, dass die begründete Aussicht eines Behandlungserfolges unter Zuhilfenahme späterer Studien bejaht werden kann.
3. Die Leitlinien des Urteils des BSG vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R = BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1 gelten nur, wenn es nicht nur um eine seltene Erkrankung geht, sondern diese so extrem selten ist, dass sie nicht systematisch erforscht werden kann. Diese Voraussetzung ist bei der pulmonalen Hypertonie nicht erfüllt.
Nachgehend
Tatbestand
Umstritten ist ein Anspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel Ilomedin (jetziger Name: Ventavis) zur Inhalationsbehandlung.
Die Kläger sind die Erben der ... 2003 verstorbenen M D, die bei der Beklagten versichert war. Die Versicherte litt an einer sekundären pulmonalen Hypertonie (NYHA IV) als Folge eines CREST-Syndroms und an einer schweren respiratorischen Partialinsuffizienz. Ein CREST-Syndrom ist eine relativ gutartige Form der Sklerodermie; diese ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des Gefäß- und Bindegewebssystems von Haut und inneren Organen. Ab November 2001 wurde die Versicherte von Prof Dr S und PD Dr O (Universitätsklinik G) behandelt, die eine Inhalationstherapie mit dem Fertigarzneimittel Ilomedin in Verbindung mit oralem Sildenafil einleiteten.
Zu Behandlungsbeginn war das Fertigarzneimittel Ilomedin mit dem Wirkstoff Iloprost der Firma S AG in Deutschland arzneimittelrechtlich für die Behandlung von Thrombangitis obliterans (Buerger-Krankheit) zugelassen. In einigen anderen Staaten war die Zulassung zur Behandlung einer mäßigen bis schweren arteriellen Verschlusskrankheit und eines Morbus Raynaud erteilt worden, in Neuseeland auch zur Behandlung einer pulmonalen Hypertonie.
Die europäische Zulassungsbehörde EMEA hatte auf Antrag der Firma S AG im Dezember 2000 für Ilomedin den Orphan-drug-Status für folgende Anwendungsgebiete erteilt: "Behandlung der primären und folgender Formen der sekundären Hypertonie; pulmonale Hypertonie im Zusammenhang mit Bindegewebserkrankungen; arzneimittelinduzierte pulmonale Hypertonie; portal bedingte pulmonale Hypertonie; pulmonale Hypertonie im Zusammenhang mit einer angeborenen Herzerkrankung und chronische thromboembolische pulmonale Hypertonie". Unter Vorlage verschiedener Studien, ua einer kontrollierten Studie von Prof Dr S/PD Dr O, beantragte die Firma S AG im Dezember 2001 bei der EMEA die europäische Zulassung von Ilomedin. Die CPMP (Fachkommission der EMEA) empfahl am 22.5.2003 der Europäischen Kommission die Zulassung des Präparats Ventavis (jetziger Handelsname von Ilomedin) nur bezogen auf die Behandlung der "primären pulmonalen Hypertonie vergesellschaftet mit den funktionellen Einschränkungen des NYHA Stadium III". Eine entsprechende arzneimittelrechtliche Zulassung wurde am 16.9.2003 von der Kommission der Europäischen Gemeinschaft erteilt.
Ab Mai 2002 wurde das Arzneimittel Tracleer (Wirkstoff Bosentan) zur Behandlung der pulmonalen arteriellen Hypertonie des Schweregrades III von der EMEA zugelassen.
Vor Behandlungsbeginn bei der Versicherten beantragten deren behandelnde Ärzte Prof Dr S/PD Dr O bei der Beklagten im Oktober 2001 die Übernahme der Kosten und ...