Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hebamme. Hausgeburtshilfe. Wegegeld. Besondere Lage des Falls. Vertrauensverhältnis. Wirtschaftlichkeitsgebot. Zinsen
Leitsatz (amtlich)
Im Rahmen der Prüfung, ob die Zuziehung einer anderen als der nächstwohnenden Hebamme nach der besonderen Lage des Falls gerechtfertigt war (§ 4 Abs 3 Satz 2 Hebammengebührenverordnung in der bis zur Aufhebung dieser Vorschrift mWv 1.8.2007 geltenden Fassung), sind sowohl das Wirtschaftlichkeitsgebot als auch bei der Schwangeren bzw. Mutter vorliegende besondere Umstände zu berücksichtigen.
Normenkette
SGB V § 2 Abs. 1 S. 1, § 12 Abs. 1, § 69 S. 3, § 134 Abs. 1; HebGV § 4 Abs. 1 S. 1, Abs. 2-3, § 5 Abs. 4; BGB § 288 Abs. 2
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 31.3.2009 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 349,34 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.8.2006 zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten beider Instanzen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Umstritten ist ein Anspruch auf Wegegeld für Fahrten der Klägerin als freiberufliche Hebamme im Zusammenhang mit Leistungen für eine bei der Beklagten Versicherte in Höhe von zusätzlichen 349,34 € nebst Zinsen.
Die Klägerin betreute als Hebamme im Zeitraum vom 9.1. bis 10.4.2006 die bei der Beklagten krankenversicherte M G (im Folgenden: Versicherte), die 92 km von der Wohnung der Klägerin in … N entfernt in … F wohnte und ihren Sohn F am 17.2.2006 gebar; zeitweise war die Versicherte vor dieser Geburt auch von der Hebamme B K betreut worden. Die Beklagte informierte die Versicherte in einem am 23.1.2006 abgesandten Schreiben darüber, Wegegelder für die Wegstrecke von der Wohnung oder Praxis der Hebamme zur Wohnung der Patientin könnten nur bis zu 20 Kilometer (einfache Wegstrecke) übernommen werden; eine Durchschrift dieses Schreibens erhielten die Klägerin und die Hebamme B K .
Die Klägerin rechnete gegenüber der Beklagten ua Wegegeld für den og Zeitraum (19 Fahrten) in Höhe von 1.124,91 € ab (Rechnung vom 25.7.2006). In der Rechnung führte sie ua an: Sie betrachte das Schreiben vom 23.1.2006 als gegenstandslos. Die Beklagte habe ihre vorherige Rechnung ungekürzt beglichen. Es sei unmöglich, einer Wöchnerin drei Wochen vor einer geplanten Hausgeburt allein wegen zu weiter Entfernung des Wohnorts der gewählten Hebamme eine neue Hebamme vorzuschlagen. Die Beklagte zog von dem von der Klägerin geforderten Betrag 907,91 € ab, da sie nur eine Fahrstrecke von bis zu 20 gefahrenen Kilometern je Fahrt (einfache Wegstrecke) berücksichtigen könne.
Mit ihrer am 7.5.2007 erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht: Ihre Abrechnung sei durch § 4 Abs 3 Satz 2 Hebammen-Gebührenverordnung (HebGV) gedeckt. Bei einer Hausgeburt müsse sich die Versicherte nicht ausnahmslos auf eine in unmittelbarer Nähe wohnende Hebamme verweisen lassen, weil hier ein besonderes Vertrauensverhältnis erforderlich sei. Dies folge auch aus der amtlichen Begründung zu § 4 Abs 3 HebGV. Die Beklagte habe es seinerzeit versäumt, der Versicherten die Adressen in Betracht kommender Hebammen mitzuteilen. Außerdem hätte die Versicherte aus persönlichen Gründen keine andere Hebamme akzeptiert.
Das Sozialgericht (SG) hat die Versicherte schriftlich als Zeugin vernommen. Diese hat unter dem 12.3.2009 erklärt: Ihr erstes Kind M sei nach einer abgebrochenen Hausgeburt am 1.8.1999 zur Welt gekommen. Die damalige Hausgeburtshebamme habe sie in den verschiedenen Situationen während der Schwangerschaft enttäuscht; eine Vertrauensbasis habe nicht aufgebaut werden können. M sei am 1.10.2000 an einem "plötzlichen Kindstod" verstorben. Im Zusammenhang mit den Geburten ihrer Töchter L und M 2002 und 2003 sei sie von B K als Hebamme betreut worden. Da diese vor der Geburt ihres Sohnes F nach F verzogen sei, habe sie sich darum bemüht, eine in ihrer Nähe wohnende Hebamme zu finden. Die Suche sei aber erfolglos gewesen, da keine Hebamme richtig zu ihr gepasst habe. B K habe dann die ersten Mutterschaftsvorsorgen übernommen; in Absprache mit dieser habe sie die Klägerin als Vertretungshebamme für die Geburt und das Wochenbett hinzugezogen. Die beiden Hebammen hätten schon öfter zusammengearbeitet, weshalb sie Zutrauen in diese gehabt habe; sie habe die Klägerin auch während der Schwangerschaft mit ihrer Tochter L bereits einmal kontaktiert gehabt. Die Klägerin habe selbst ein Kind verloren, weshalb sie eine optimale Unterstützung für sie, die Versicherte, gewesen sei. Sie, die Versicherte, habe seinerzeit enorme Ängste und Befürchtungen gehabt, weil sie Angst gehabt habe, dass ihr Sohn F ebenso wie ihr verstorbener erster Sohn M mit einer erblichen Muskelerkrankung zur Welt kommen würde. Dies sei für sie eine große psychische Belastung gewesen, zumal sie in relativ kurzer Zeit vier Geburten gehabt habe. Nach der Geburt ihres Sohnes F sei es zu einer verzögerten Rückbildung im Wochenbett und Wochenflussstörungen gekommen....